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Sommer wie Winter

Sommer wie Winter

Titel: Sommer wie Winter
Autoren: Judith W. Taschler
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er’s nicht geschafft hat. Das Auto ist auf der Beifahrerseite gelegen. Es hat schon gebrannt, vorne, aus der Motorhaube. Die Fahrertür hat geklemmt. Sie ist nicht aufgegangen. Der Vater ist durch den offenen Kofferraumdeckel reingeklettert. Hat aber den Alex nicht durch die zwei Sitze nach hinten rausbekommen.
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Zu zweit haben wir es geschafft. Wir haben den Alex durch den Kofferraum rausgezogen. Dafür haben wir zuerst die Rückbank und dann noch den Beifahrersitz umlegen müssen. Der Vater hat den Alex weit genug vom Auto weggetragen. Er hat ihn auf die Decke gelegt. Dann hat sich der Vater in den Schnee gesetzt. Es sind ihm Tränen runtergelaufen. Ich habe ihn nie, nie vorher weinen sehen.
    Ich habe gesagt: Vater, komm, wir müssen schnell die Rettung holen! Der Alex braucht Hilfe! Ich habe selber fast keine Luft bekommen. Später hat sich rausgestellt, dass zwei Rippen gebrochen sind. Er hat mich angeschaut und gesagt: Manu, bitte, gib mir den Schlüssel von deinem Passat. Ich habe gedacht, ich hör nicht richtig! Aber er hat wieder gesagt: Bitte gib mir sofort den Autoschlüssel. Er hat gesehen, dass ich ihn vorher in meine Hosentasche gesteckt habe. Ich muss verschwinden, noch heute Nacht. So hat er gesagt. Oder ich geh für viele Jahre ins Gefängnis. Ich habe gesagt: Es ist ja ein Unfall gewesen! Er hat mich eine Weile angeschaut. Hat gesagt: Aber ich habe ihn nicht gemeldet und die Leiche versteckt. Und es ist nicht nur deswegen, sondern wegen dem Hotel. Ich werde bald wegen gefährlicher – nein, fahrlässiger Insolvenzverschleppung angeklagt.
    Ich habe nichts mehr verstanden. Ich habe auch nichts mehr verstehen wollen. Ich bin total fertig gewesen. Ich habe zum brennenden Auto runtergeschaut.
[197]
Da habe ich die zwei Reisetaschen gesehen. Die sind im Schnee gestanden. Gib mir deinen Autoschlüssel, ich muss von hier weg, hat er gebettelt. Ich gehe sicher nicht ins Gefängnis. Vorher bringe ich mich um. Da habe ich die Autoschlüssel rausgeholt. Habe sie aber noch festgehalten.
    Sag mir, wo ihre Leiche ist, habe ich zum Vater gesagt. Dann kriegst du den Schlüssel. Er hat mich angeschaut, so als wäre ich krank. Ich habe es noch mal gesagt, lauter. Und noch ein drittes Mal. Da hat er es mir gesagt. Dass er sie dort vergraben hat im Wald, unterhalb der Almhütte. Da, wo früher immer die toten Kühe vergraben worden sind. Am Tag vorher ist eine Kuh gestorben. Die Lieblingskuh von der Anna. Er ist dann noch in der Nacht mit dem Traktor raufgefahren. Hat beide begraben. Zuerst die Frau mit ihrem Koffer und darüber die Kuh.
    Ich habe ihm dann wirklich den Autoschlüssel gegeben. Er hat seine zwei Reisetaschen geschnappt und ist weggelaufen. Der Polizei habe ich am nächsten Tag im Krankenhaus gesagt, dass der Autoschlüssel im Passat gesteckt ist. Dass er das Auto gestohlen hat. Zuerst habe ich’s nicht bereut, dass ich ihm geholfen hab. Überhaupt nicht! Aber jetzt – Scheiße, den Vater hätte ich mir nie im Gefängnis vorstellen können! Ich bin mir sicher, dass er sich wirklich umgebracht hätte! Er ist doch mein Vater! Was hätte ich tun sollen?
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Dann hat die Polizei gesucht und gesucht. Sie haben die Leiche nicht gefunden. Der Alex ist auch nicht auf die Idee gekommen, wo seine Mutter sein könnte. Ich habe gedacht, er kommt sicher selbst drauf! Ich habe es ihm dann nach ein paar Wochen gesagt. Ich habe so getan, wie wenn es eine Ahnung von mir wäre. Gott sei Dank hat mir der Angermair das abgenommen. Nur wegen ihm haben sie die Suche wieder angefangen. Ohne den hätten sie das nie gemacht. Der Angermair hat uns überhaupt viel geholfen bei der ganzen Sache.
    Nach einer Woche ist der – der Befund, ja genau, der Obduktionsbefund gekommen. Sie ist erwürgt worden! Sie ist wirklich erwürgt worden! Sie ist nicht gestürzt! Sie hat sich nicht das Genick gebrochen! Der Angermair hat es uns gesagt. Er hat gesagt: Ich muss euch allen etwas schonend beibringen. Als könnte man so was schonend sagen! Mein Vater hat sie erwürgt. Er ist ein Mörder. Und ich habe ihm geholfen, dass er verschwinden kann. Der Alex darf das nie erfahren! Nie! Er würde mich hassen! Das würde ich nicht aushalten!
    Sie können sich nicht vorstellen, was dann daheim los gewesen ist. Es ist die Scheißhölle gewesen. Obwohl es total still gewesen ist. Keiner hat gewusst, was man da reden soll. Was sagt man da? Wenn’s auf einmal heißt: Euer Vater ist ein Mörder! Ja, und der Alex ist komplett zusammengebrochen.
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