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Sommer wie Winter

Sommer wie Winter

Titel: Sommer wie Winter
Autoren: Judith W. Taschler
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sicher ein paar Mal entwischt, vielleicht hätte ich ihn nicht mal fangen können, aber der Georg ist bei solchen Sachen immer so schnell gewesen. Mit dem Frosch in der Hand ist er dann zu sich nach Hause gelaufen, ich neben ihm her. Im Holzschuppen drinnen hat er mir den Frosch gegeben und hat gesagt: Lass ihn ja nicht entwischen!
    Ich halte so den Frosch in meinen zwei Händen und überlege mir noch, ob ich ihn nicht einfach auslassen soll. Ich hätte ja sagen können, dass er mir weggeflutscht ist. Mir war nicht so wohl in meiner Haut, ich habe dem Georg zugeschaut, wie er ein Brett, einen Hammer und Nägel zusammengesucht hat. Aber ich habe brav den Frosch gehalten, was anderes hätte ich mich nicht getraut. Der Georg hat in der Schule schon oft jemanden mit seiner Faust traktiert, und viele haben sich vor ihm gefürchtet. Ja, stimmt, ich habe mich in dem Moment auch vor ihm gefürchtet.
    Gleichzeitig bin ich total neugierig gewesen auf das, was jetzt kommen wird. Was hat er vor mit dem
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Frosch, habe ich mir gedacht. So eine aufgeregte Spannung habe ich gespürt. Auch bewundert habe ich den Georg, weil er sich so etwas traut und immer solche Einfälle hat. Mir wäre so was nie eingefallen.
    Dann hat er sich vor mir aufgepflanzt und hat gesagt: Komm, lass ihn uns kreuzigen! Das ist jetzt der grüne Jesus und er rettet die gesamte Froschwelt! Wie er das so gesagt hat, ist mir doch das Herz ein bisschen in die Hose gerutscht. Georg hat die tiefe Stimme unseres Pfarrers nachgemacht: Die Froschwelt ist durch und durch verdorben, sie braucht einen Erlöser!
    Ich soll den Frosch auf das Brett drücken, hat er gesagt, und ich habe es gemacht. Und dann hat er einen Nagel nach dem anderen in die Haxen vom Frosch geschlagen, zack, zack, ohne einmal danebenzuhauen. Der Georg ist so geschickt. Er macht jetzt eine Lehre bei einem Tischler.
    Geekelt hat’s mich vor dem Brett mit dem Frosch drauf, mit den Nägeln darin. Seine Augen sind so hervorgequollen und seine Blasen neben dem Maul haben sich immer leicht aufgeblasen und sind sofort wieder zusammengesackt. Es hat so schrecklich ausgeschaut.
    Und geekelt hat’s mich vor dem Georg, aber gleichzeitig hat mich sein Verhalten so – so fasziniert. Sein Gesichtsausdruck ist so komisch gewesen, ich konnte nicht wegschauen, ich habe die meiste Zeit ihn angestarrt, auch weil ich nicht auf den Frosch
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schauen wollte. Er hat wie hypnotisiert gewirkt, als wäre ein Leuchten in seinem Gesicht.
    Nachher ist er einfach aus dem Schuppen gegangen und hat das Brett mit dem Frosch drauf auf dem Boden liegen lassen. Ich habe in der Nacht gar nicht schlafen können, habe immer an den Frosch denken müssen und wie er dreingeschaut hat.
    Später, ich glaube, es ist ein oder zwei Jahre später gewesen, wollte ich auch einmal so was machen. Aus lauter Wut auf den Vater und auf die Mutter, aus Protest sozusagen! Ich wollte einen gekreuzigten Frosch in ihr Bett legen, dass sie sich so richtig erschrecken. Das hätte mir gefallen, so sauer bin ich auf sie gewesen. Und was anderes ist mir einfach nicht eingefallen. Nur ein gekreuzigter Frosch, mehr nicht. Ich bin bei solchen Sachen immer schlecht gewesen.
    Aber ich habe es nicht zusammengebracht. Ich habe einen Frosch gefangen, aber konnte dann keinen Nagel in ihn reinhauen, also habe ich ihn wieder freigelassen. Ich habe nur einen Regenwurm mit meinem Taschenmesser auseinandergeschnitten, ganz klein, und ihn der Mutter und dem Vater in die Gerstelsuppe getan. Eine Ewigkeit habe ich gebraucht, dass mir das eingefallen ist.
    Aber geholfen hat mir das nicht. Mir ist schlecht geworden, wie ich ihnen beim Essen zugeschaut habe, und besser habe ich mich auch nicht gefühlt.

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Therapiegespräch im Jänner 1990
Dr. R. und Monika Winter (55 Jahre)
    Ich kann nicht mehr, ich kann wirklich nicht mehr!
    Mir kommt vor, als hätte ich seitdem einen Albtraum und ich muss jeden Moment wieder aufwachen. Aber ich wache nicht auf! Für mich ist das alles so schrecklich, das können Sie sich gar nicht vorstellen! Ich kann nicht verstehen, dass der Herrgott das für mich bereitgehalten hat!
    Die ganzen Zeitungsfritzen ständig ums Haus herum! Und die Gendarmen, die alles auf den Kopf stellen! Aber sie werden nichts finden! Nichts! Wir sind alles rechtschaffene Leute!
    Wissen Sie, was das in einem kleinen Dorf bedeutet? Wissen Sie, wie mich die Leute anstarren? Es ist – das Ende ist das, ja, das Ende! Für die Familie, für den Betrieb! Ich halte die Schande
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