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Solo

Solo

Titel: Solo
Autoren: Jack Higgins
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der letzte Gast gegangen war, hatte der Professor sich
zu seine m Enkel auf den Balkon begeben, wo er dem offenbar nie
abreißenden Brausen des nächtlichen Verkehrsstroms lauschte.

      «Na, du hast also beschlossen, dich wieder zu den Lebenden zu gesellen? Was nun?»
      «Paris, würde ich sagen», erwiderte John Mikali. «Das Konservatorium.»
    «Aha. Die Konzertlaufbahn. Ist das dein Plan?»

    «Wenn es dir recht ist.»
      Dimitri Mikali umarmte ihn liebevoll.
«Du weißt doch, daß du mein Alles bist. Was du
willst, das will auch ich. Ich sage Katina, daß sie packen
soll.»

      Er fand eine Wohnung in einer engen
Straße nahe der Sorbonne, nicht weit von der Seine entfernt, in
einem für die Hauptstadt Frankreichs so charakteristischen Bezirk
mit eigenen Läden, Cafés und Bistros. Eine Gegend, in der
jeder jeden kannte.

      Mikali trat ins Konservatorium ein,
übte täglich acht bis zehn Stunden und widmete sich
ausschließlich seinem Klavier, alles andere blieb aus seinem
Leben verbannt, sogar die Mädchen. Wie bisher führte ihm
Katina den Haushalt, kochte für ihn und bemutterte ihn.

      Am 22. Februar I960, zwei Tage vor
seinem achtzehnten Geburtstag, fand am Konservatorium eine wichtige
Prüfung statt, bei der eine Goldmedaille zu gewinnen war. Er hatte
fast die ganze Nacht hindurch geübt, und um sechs Uhr morgens war
Katina fortgegangen, um frische Croissants und Milch zu holen.

    Er kam gerade aus der Dusche und zog sich den
Bademantel über, als er draußen auf der Straße das
Kreischen von Bremsen und einen dumpfen Aufprall hörte. Mikali
stürzte ans Fenster und schaute hinunter. Katina lag im Rinnstein
hingestreckt, die Croissants kullerten über das Pflaster. Der
Citroën-Laster, der sie überfahren hatte, floh im
Rückwärtsgang. Mikali erhaschte einen Blick auf das Gesicht
des Fahrers, dann war der Wagen um die Ecke verschwunden.
      Katinas Agonie dauerte mehrere
Stunden, und er saß im Krankenhaus an ihrem Bett, hielt ihre Hand
und ließ sie auch dann noch nicht los, als Katinas Finger im Tode
steif geworden waren. Die Polizei drückte ihr Bedauern aus. Leider
habe es keine Zeugen gegeben, was den Fall schwierig mache, aber man
würde der Sache selbstverständlich nachgehen.
      Für Mikali spielte das keine
Rolle, denn er kannte den Fahrer des Citroën-Lasters. Es war
Claude Galley, ein brutaler Rüpel, der mit Hilfe zweier Mechaniker
in der Nähe der Seine eine Autowerkstatt betrieb.
      Er hätte sein Wissen an die
Polizei weitergeben können. Aber er tat es nicht. Dies war
Privatsache. Eine Angelegenheit, die er allein regeln mußte.
Seine Vorfahren hätten ihn verstanden, denn auf Hydra galt seit
Jahrhunderten das eiserne Gesetz der Blutrache. Ein Mann, der ein den
Seinen angetanes Unrecht nicht ahndete, verfiel selber dem Blutbann.
      Und doch steckte noch etwas anderes
dahinter. Eine seltsame kalte Erregung, die sein ganzes Wesen
erfüllte, als er um sechs Uhr abends in einer dunklen Einfahrt
gegenüber der Werkstatt wartete.
      Um halb sieben gingen die beiden
Mechaniker. Er wartete noch fünf Minuten, dann überquerte er
die Fahrbahn und trat vor das Tor in der dunklen Straße. Die
beiden Flügel waren geöffnet, der Citroën stand mit dem
Kühler zum Gehsteig, und hinter dem Wagen führte eine
Zementrampe steil nach unten in den Keller.
    Galley arbeitete im Keller an einer Werkbank, die an der
    Wand stand. Mikalis rechte Hand glitt in die
Tasche seines Regenmantels und schloß sich um den Griff des
Küchenmessers, das er bei sich trug – und dann sah er,
daß es eine einfachere Möglichkeit gab. Eine
Möglichkeit, der ein beträchtliches Maß von
Gerechtigkeit innewohnte.

      Er beugte sich ins Führerhaus
des Citroën, legte mit einer behandschuhten Hand den Leerlauf ein
und lockerte die Handbremse. Der Wagen setzte sich in Bewegung, wurde
immer schneller. Galley, halb betrunken wie gewöhnlich, bemerkte
sein Heranrollen erst im letzten Moment und drehte sich mit einem
Aufschrei um, als der schwere Laster ihn an die Wand quetschte.
      Mikali empfand indes keine Genugtuung
nach seiner Tat, denn Katina war von ihm gegangen, für immer,
genau wie der Vater, den er nie gekannt hatte, wie die Mutter, die nur
eine vage Erinnerung war, wie die Großmutter.
      Vier Stunden lang irrte er wie
betäubt im Regen herum, bis ihn schließlich kurz vor
Mitternacht am Seinekai eine Prostituierte aufgabelte.
      Sie war vierzig und sah älter
aus, weshalb sie in ihrer
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