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Solo

Solo

Titel: Solo
Autoren: Jack Higgins
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stand ein
festliches Konzert auf dem Programm. Die Wiener Philharmoniker spielten
eine Symphonie von Brahms, und der Pianist John Mikali war der Solist
in Rachmaninows Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 in c-Moll.
      21. Juli 1972. Der Mann aus Kreta
zündete sich eine Zigarette an, betrachtete das Plakat mit dem
Foto John Mikalis, dieses Porträt, das weithin bekannt und
berühmt war: das dunkle lockige Haar, das blasse Gesicht und die
Augen wie blankes schwarzes Glas.
      Er wanderte um das Gebäude herum
zur Rückseite. Eine der Türen hatte ein Leuchtschild mit der
Aufschrift Bühneneingang. Er ging hinein. Der Portier in seiner Loge blickte von der Sportzeitung auf und lächelte.

    «N'Abend, Sir. Kalt heute.»
    «Könnte schlimmer sein», sagte der Mann aus Kreta.

      Er bog in den Gang ein, der hinter die Bühne führte. Eine Tür trug die Aufschrift Grünes Zimmer. Er
öffnete sie und knipste das Licht an. Für eine
Künstlergarderobe war das Zimmer überraschend geräumig
und recht ordentlich eingerichtet. Das einzige Möbelstück,
das eindeutig bessere Tage gesehen hatte, war das Übungsklavier an
der Wand, ein altes Chappell-Klavier, das aussah, als wolle es jeden
Moment zusammenbrechen.
      Er nahm die Mauser aus der Tasche,
öffnete ein Toilettenschränkchen, hob das unterste Brett hoch
und versteckte die Waffe darunter. Dann zog er den Anorak aus, warf ihn
in die Ecke und setzte sich vor den Ankleidespiegel.
      Es klopfte, und der Inspizient
steckte den Kopf herein. «Noch fünfundvierzig Minuten,
Mister Mikali. Soll ich Ihnen vor dem Auftritt noch Kaffee bringen
lassen?»
    «Nein, danke», sagte John Mikali.
«Mit Kaffee stehe ich auf Kriegsfuß. Irgend etwas
Chemisches, sagt mein Arzt. Aber wenn Sie mir eine Kanne Tee
verschaffen könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar.»
      «Gewiß, Sir.» Der
Inspizient wollte schon kehrtmachen, zögerte aber dann.
«Übrigens, vielleicht interessiert es Sie, hab's gerade im
Radio gehört. Maxwell Cohen wurde in seinem Haus am Regent's Park
erschossen. Maskierter Mann. Konnte flüchten.»

    «Mein Gott», sagte Mikali.
      «Die Polizei glaubt an einen
politischen Mord, weil Mister Cohen allgemein als Zionist bekannt war.
Letztes Jahr wäre er um ein Haar durch eine Briefbombe
getötet worden.» Er schüttelte den Kopf. «Wir
leben in einer seltsamen Welt, Mister Mikali. Was mag das wohl für
ein Mensch sein, der so etwas tut?»
      Der Inspizient ging, und Mikali
wandte sich wieder dem Spiegel zu. Er lächelte ein wenig, und sein
Bild lächelte zurück.
    «Na?» sagte er.

    1

      Etwa vierzig Seemeilen südlich
von Athen und nicht ganz fünf von der Küste des Peloponnes
entfernt, liegt die Insel Hydra, einst eine der bedeutendsten
Seemächte des Mittelmeers.
      Seit der Mitte des achtzehnten
Jahrhunderts segelten ihre Schiffe bis nach Amerika, und viele
Kapitäne kamen dabei zu gewaltigem Vermögen; venezianische
Baumeister wurden auf die Insel geholt, um dort stolze
Herrenhäuser zu errichten, die man noch heute rund um diesen
wunderschönen Hafen besichtigen kann.

      Später, als Griechenland unter
dem Joch der Türkenherrschaft litt, wurde die Insel zum sicheren
Port für die Flüchtlinge vom Festland. Und die Seeleute von
Hydra halfen mit, die türkische Flotte im Befreiungskrieg zu
besiegen und dem Land endlich die Unabhängigkeit
zurückzugeben.

      Für einen Griechen haben die
Namen jener großen Hydrioten, der Kapitäne Votzis, Tombazis,
Boudouris, den gleichen magischen Klang wie Sir Francis Drake und
Walter Raleigh für die Engländer.
    Den ehrenvollsten Platz auf dieser Liste nahm jedoch der
    Name Mikali ein. Als Admiral Nelson den
Oberbefehl im östlichen Mittelmeer führ te, hatten die
Mikalis als Blockadebrecher große Profite gemacht, und vier ihrer
Schiffe verstärkten die Flotte der Alliierten, die 1827 in der
Seeschlacht von Navarino dem Weltmachtstreben des Osmanischen Reichs
ein Ende setzten.
    Der aus den Kaper- und Blockadefahrten während
der Türkenkriege stammende Reichtum wurde umsichtig in mehreren
der um diese Zeit entstehenden Schiffahrtslinien angelegt, und so kam
es, daß die Mikalis am Ende des neunzehnten Jahrhunderts zu den
wohlhabendsten Familien Griechenlands zählten.
      Und die Männer dieser Familie
waren allesamt geborene Seeleute, bis auf Dimitri, der 1892 zur Welt
kam. Sein leidenschaftliches Interesse galt Büchern, und er
studierte in Oxford und an der Sorbonne und kehrte nur nach
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