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Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)

Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)

Titel: Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
Autoren: Maja Schulze-Lackner
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hinaus zum Schlachtensee. Dort hatten die Gebrüder Hart eine Arbeits- und Wohngemeinschaft gegründet, in der sie mittellose Künstler aufnahmen. »Sie und ihre Frauen sind fabelhaft«, hatte Corinth ihr erzählt. »Beide Brüder sind hochbegabte Lyriker und außerdem Herausgeber des Literaturkalenders. Und immer trifft man dort die interessantesten Leute.«
    Er hatte nicht übertrieben. Feodora war fasziniert. Was für ein Gemisch von Menschen! Alles Bohemiens, Maler, Schauspieler, Literaten, die die hübsche junge Ostpreußin aufnahmen, als sei sie eine von ihnen – wussten doch inzwischen alle von ihrem nackten Ritt durch Königsberg. Selten hatte sie sich so gut unterhalten.
    »Ich überlege mir ernsthaft, ob ich nicht nach Berlin ziehen soll«, sagte sie eines Tages auf der Heimfahrt vom Schlachtensee. »Ich liebe Ostpreußen, aber es ist doch reichlich provinziell.«
    Die Stadt hatte sie in ihren Bann gezogen. Hin und wieder träumte sie noch von Klaus. Doch allmählich begann die Erinnerung an ihn zu verblassen. Die Soireen und Diners in den Berliner Salons unterschieden sich nicht wesentlich von denen in Königsberg, aber die Künstlerlokale, in denen Corinth verkehrte, kannte sie von zu Hause nicht.
    Am Abend vor ihrer Abreise nahm er sie mit in das Kaffee-Casino Nollendorf am Nollendorfplatz. »Heute, wie an jedem Donnerstag, trifft sich dort die geistige Elite der Stadt. Sie nennen sich ›die Kommenden‹. Es gibt Lesungen von jungen, unbekannten Literaten, sogar einige Frauen sind dabei. Du wirst staunen, Feda. Sicher treffen wir auch ein paar meiner Freunde vom Schlachtensee.«
    Als sie das Lokal betraten, konnte Feodora kaum etwas erkennen. Es herrschte ein lautes Stimmengewirr, das Licht war schummerig und die Luft rauchgeschwängert. Ihr Freund wurde von allen Seiten herzlich begrüßt. »Kommt rüber zu uns«, rief ihnen Julius Hart zu, der mit seiner Frau Martha und einem gut aussehenden jungen Mann an einem runden Tisch saß. »Wir haben noch Plätze frei.«
    »Ich glaube, du kennst Ludwig Jacobowski noch nicht, Feodora«, sagte Martha.
    »Er hat diesen Lesezirkel hier gegründet«, fügte Corinth hinzu, der Jacobowski mit seiner riesigen Pranke kräftig auf die Schulter schlug.
    Ludwig Jacobowski lächelte etwas gequält. »Geht es nicht ein bisschen weniger herzlich, Lovis?«, sagte er, und zu Feodora: »Macht er das bei Ihnen auch?«
    »Nein.« Sie musste laut lachen. »Gott sei Dank nicht. Es würde ihm auch schlecht bekommen.«
    Die Männer begannen eine hitzige Diskussion über den militärischen Pomp des Kaisers. Kurz darauf sagte einer: »Er ist nicht nur ein ziemlich verschwenderischer Idiot, ich versichere euch, Wilhelm ist zudem ein versteckter Antisemit. Glaubt es mir.«
    »Er ist mit Rathenau und Fürstenberg befreundet und mit dem Ballin«, sagte jemand anders. »Wie kann er da Antisemitsein?« Dann wechselten sie das Thema und unterhielten sich über den beginnenden Boxeraufstand in China.
    Feodora hörte nur mit halbem Ohr zu. »Das ist ein interessanter Mann, euer Freund Jacobowski«, sagte sie leise zu Martha. »Was macht er beruflich?«
    »Er ist Herausgeber und Redakteur einer Literaturzeitschrift«, sagte Martha. »Wir sind sehr eng mit ihm befreundet … Ah, da kommt Else.«
    Eine zierliche, dunkelhaarige Frau hatte das Lokal betreten und steuerte direkt auf einen Mann zu, der allein an einem kleinen Tisch saß. Er sah ausgezehrt aus. Sein von einem langen Bart halb verdecktes Gesicht war fahl und eingefallen und seine Kleidung mehr als ärmlich.
    »Wer sind die zwei?«, fragte Feodora interessiert. Rein äußerlich passten sie so gar nicht zueinander.
    »Der Mann ist Peter Hille, ein bekannter Literat, und die Frau Else Lasker-Schüler, eine junge Schriftstellerin. Er ist ihr Mentor. Sie vergöttert ihn.« Martha seufzte. »Der Arme, er wird immer noch verkannt. Dabei ist er ein Genie, ein begnadeter Schriftsteller und ein unglaublich guter Mensch. Und er kann überhaupt nicht mit Geld umgehen. Ich bin immer froh, wenn er nach Schlachtensee kommt und ich ihm eine warme Mahlzeit servieren kann.«
    Als Corinth den Namen Hille hörte, mischte er sich in ihr Gespräch ein. »Hab ich euch schon erzählt, dass ich ihn malen soll, den Hille? Ein reicher Kaufmann aus der Regentenstraße … wie heißt er noch mal …?« Er versuchte angestrengt, sich an dessen Namen zu erinnern. »Wurscht … also ich habe einen Auftrag und sogar schon einen Vorschuss auf mein Honorar … Wirt«,
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