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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition)
Autoren: Petra Durst-Benning
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besser sehen zu können.
    »Die Frage ist, ob man im Fall der Josefine Schmied von mangelnder Einsichtsfähigkeit sprechen kann oder nicht«, hatte er gesagt, nachdem er sich den Bericht des Wachtmeisters angehört hatte. »Dann wäre bei einer Minderjährigen ein Freispruch durchaus möglich …«
    Der Wachtmeister runzelte die Stirn. »Euer Ehren, die Angeklagte ist doch keine dreizehn oder vierzehn mehr, vielmehr erreicht sie in ein paar Monaten, mit achtzehn, die volle Strafmündigkeit! Und laut den Worten ihres Vaters – ein angesehener Hufschmied übrigens – war sie sich der Schwere ihres Vergehens durchaus bewusst.«
    »Warum ist der Vater der Angeklagten eigentlich nicht mitgekommen, um uns seine Sicht der Dinge selbst zu schildern?«, hatte der Amtsrichter von Elsbeth Schmied wissen wollen.
    »Mein Mann muss arbeiten«, antwortete sie spröde.
    »Und wie kann es sein, dass Ihre Tochter nächtens das Haus verlässt und Sie das nicht merken? Noch ist Ihre Tochter minderjährig, Sie haben also eine gewisse Aufsichtspflicht.«
    »Aufsichtspflicht, von wegen! Das Gör war schon immer eine Rumtreiberin!«, fuhr Josefines Mutter auf. »Um Verbote oder Anordnungen hat sich unsere Tochter noch nie geschert. Ihr eigenes Pläsier war ihr immer am wichtigsten«, fügte sie bitter hinzu. »Aber wie heißt es so schön – Hochmut kommt vor dem Fall. Nach allem, was geschehen ist, ist unsere Tochter für uns jedenfalls gestorben, das sage ich Ihnen.«
    Josefine hatte krampfhaft nach Worten gesucht. Eine Entschuldigung, entlastende Worte – irgendetwas! Hatte sie nicht Tag für Tag bis zur völligen Erschöpfung geschuftet, um ihrem Vater die Arbeitslast zu erleichtern? Hatte sie ihrer Mutter nicht jede noch so beschwerliche Tätigkeit im Haus und ringsherum abgenommen? Aber sie wusste, dass all das nicht mehr zählte – noch nie gezählt hatte. So hatte sie geschwiegen.
    Der Amtsrichter schob einen weiteren Aktenstapel über den Schreibtisch, dann richtete er sich auf. Wie auf ein geheimes Stichwort hin zückte seine Sekretärin ihren Stift, um die Urteilsverkündung schriftlich festzuhalten.
    »Gemäß Reichsstrafgesetzbuch, § 56 Absatz 1 sowie § 57 Absatz 1 und 2 ordne ich aufgrund der Schwere des Vergehens die sofortige Unterbringung im Frauengefängnis Barnimstraße an. Aufgrund des jugendlichen Alters der Verurteilten und der Tatsache, dass ich ihr eine gewisse Besserungsfähigkeit nicht abspreche, erfolgt die Unterbringung in der neu geschaffenen Jugendabteilung. Die Unterbringung ist verbunden mit täglichem Arbeitsdienst sowie täglichem Unterricht. Die Dauer wird auf dreieinhalb Jahre festgelegt.«
    Mit strengem Blick hatte er über seinen Schreibtisch hinweg Josefine angeschaut. »Das Frauengefängnis Barnimstraße ist eine große Chance für junge Menschen, die wie du vom rechten Weg abgekommen sind. Ich hoffe, du entwickelst dort die geistige Reife, die nötig ist, um ein ehrenwertes Leben in Freiheit und Demut führen zu können.«
    Als die zwei Wachtmeister Josefine abführten, hatte ihre Mutter nicht einmal mehr den Kopf nach ihr umgedreht.
    Man hatte ihr die Kleidung abgenommen und ihr ein grobes Wollkleid gereicht. Einzig ihre Unterwäsche und die Schuhe hatte sie behalten dürfen. Dann hatte eine Wärterin sie in diesen Schlafsaal gebracht und gesagt, dass sie fürs Abendessen zu spät dran sei und sie sich am besten gleich für die Nacht einrichtete.
    Josefine war alles gleichgültig gewesen.
    Fußgetrappel näherte sich, dann ertönte plötzlich hinter ihr eine Stimme, rau wie Schmirgelpapier: »Sieh mal an, eine Neue. Bestimmt trägt sie noch ihre eigene Unterwäsche und nicht die dünnen Fetzen, wie wir sie anhaben.«
    Ein eigentümlicher Geruch nach schlechtem Essen und Schweiß stieg in Josefines Nase – offenbar hatten sich die anderen um ihr Bett geschart. Stur hielt Jo ihren Blick auf die Wand gerichtet. Sie wollte niemanden kennenlernen.
    »Was glotzt du so blöde vor dich hin?«, sagte eine zweite Stimme. Jemand pikte ihr einen spitzen Finger in den Rücken. Mehrstimmiges Lachen folgte.
    »He, was soll das?« Josefine fuhr wütend herum und setzte sich auf die Bettkante. Beim Anblick der zerlumpten Gestalten erschrak sie. Mit ihnen sollte sie fortan ihr Leben teilen?
    Zehn, zwölf junge Mädchen und Frauen waren es, teilweise in ihrem Alter, teilweise jünger – Kinder noch. Ihre Gesichter wirkten jedoch auf unnatürliche Art verlebt und feindselig. Tiefe Furchen hatten
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