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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition)
Autoren: Petra Durst-Benning
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sich dort eingegraben, wo rosige Frische ein Zeichen von Jugend sein sollte. Alle waren krankhaft blass, ein Mädchen hatte einen dicken roten Striemen auf der Wange wie von einem Peitschenhieb, ein anderes ein schorfiges Kinn und eine verschorfte Stirn wie nach einer gerade abgeklungenen Pockenerkrankung. Die Haare waren struppig und ungepflegt, die Hände schmutzig, teilweise sogar blutig und mit ungepflegten Fingernägeln. Die Mädchen erinnerten Jo an die vielen Horden von Gassenkindern, die überall in der Stadt unterwegs waren und sich einen Spaß daraus gemacht hatten, sie mit Steinen zu bewerfen oder zu bespucken. Isabelle und sie hatten bei ihrem Anblick stets das Weite gesucht. Ein gruseliger Schauer lief Jo über den Rücken. Dass keines der Mädchen älter als achtzehn Jahre sein sollte, fiel ihr schwer zu glauben.
    »Nummer vierzehn ist mein Bett, also steh auf!«, herrschte eine große Hagere sie an und versetzte ihr mit dem Fuß einen schmerzhaften Tritt gegen das Schienbein. Sie hatte raspelkurze Haare wie nach einer Lausschur, tiefliegende graue Augen, und ihre Wimpern und Brauen waren hell, fast durchscheinend. Im Gegensatz zu den dumpfen Gesichtern der anderen wirkte ihr Mienenspiel intelligent. Und eiskalt. Das Mädchen sah aus, als hätte es sein dreißigstes Lebensjahr längst hinter sich.
    »Aber die Aufseherin meinte –«, hob Josefine an.
    »Das interessiert niemanden. Ich bin diejenige, die hier das Sagen hat! Und ich, Adele, sage, dieses Bett gehört mir«, stellte die Wortführerin kühl fest. Sie nickte zwei Mädchen zu, woraufhin diese sich links und rechts von Josefine platzierten. Doch bevor die beiden sie an den Armen packen konnten, stand Josefine freiwillig auf. Ein Streit war das Letzte, wonach ihr der Sinn stand.
    »Und wo soll ich dann schlafen?«, fragte sie gereizt.
    »Das schert mich überhaupt nicht«, erwiderte die Hagere.
    Missmutig schaute sich Josefine in dem Schlafsaal um. Sie war müde, wollte sich nur hinlegen und die Augen schließen … Ihr Blick fiel erneut auf die Rothaarige, die am Ende des Schlafsaals kauerte und so tat, als wäre sie gar nicht da. Allem Anschein nach waren dort noch Betten frei.
    Josefine hatte den Gang schon zur Hälfte durchquert, als sie merkte, dass Adele ihr folgte. Ruckartig drehte sich Jo um. »Was ist denn noch?«
    Grinsend verstellte die Anführerin ihr den Weg. »Ich bin noch nicht fertig mit dir. Gib mir deinen Unterrock, bestimmt kann ich ihn gebrauchen.«
    »Du spinnst wohl! Nichts dergleichen werde ich tun«, erwiderte Josefine scharf. »Wenn du etwas von mir willst, musst du es dir schon holen.« Herausfordernd baute sie sich vor der anderen auf.
    Die Wortführerin zögerte, mit ihren blassen Augen taxierte sie ihr Gegenüber kurz, dann winkte sie ab. »Deine Klamotten würden mir eh nicht passen, wo du so ’ne lange Bohnenstange bist. Zeig mir lieber deine anderen Sachen!«
    »Was für Sachen?«
    »Na, so wie du ausschaust, hast du bestimmt eine Menge nützlicher Dinge mitgebracht. Seife, einen Kamm, Süßigkeiten – also los, her damit!«
    Unter den Anwesenden machte sich eine seltsame Aufgeregtheit breit. Blicke wurden getauscht, die jungen Frauen stießen sich mit dem Ellenbogen an, manch eine schien die Luft anzuhalten. Man schien dieser Sache große Wichtigkeit beizumessen.
    »Es ist besser, du tust, was Adele von dir verlangt«, piepste ein kleineres Mädchen am Rand der Gruppe.
    Josefine überlegte kurz. Diese Adele schien es wirklich auf einen Streit anzulegen. Es war sicher klug, sich ihr zu stellen, damit sie ihre Ruhe bekam. Mit erzwungener Gelassenheit baute sich Jo vor ihrer Herausforderin auf, woraufhin diese erstaunt und auch ein wenig erschrocken zurückwich.
    »Ich habe nichts. Heute früh blieb mir leider keine Zeit, die Kronjuwelen einzupacken.« Mit diesen Worten hob Jo die Hände in die Höhe und schob Adele dann zur Seite. »Und jetzt lass mich in Ruhe.«
    Die Anführerin runzelte die Stirn.
    Ein Raunen ging durch die jungen Frauen – es kam selten vor, dass sich jemand Adeles Anweisungen widersetzte, und dann noch in dieser Art!
    Jo verzog den Mund. Sie hatte keine Angst. Sie war nicht nur einen Kopf größer als Adele, sondern dazu athletisch und gut trainiert: Sie hatte ein breites Kreuz, ihre Beine waren muskulös, ihre Arme sehnig und kraftvoll, dafür hatten die vielen Stunden in der Hufschmiedwerkstatt gesorgt. Ihr Training hatte ebenfalls seinen Teil dazu beigetragen. Im Bewusstsein, Adele
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