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Sokrats für Manager

Sokrats für Manager

Titel: Sokrats für Manager
Autoren: Andreas Drosdek
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als einen Aufruf, sich auf die Flotte zu stützen, und setzte sich für den vermehrten Schiffsbau ein. Anschließend gelang es ihm, den Persern in der Seeschlacht von Salamis eine entscheidende Niederlage beizubringen. Meist war das Orakel in seinen Aussagen aber eher mysteriös und ließ im Nachhinein unterschiedliche Interpretationen seiner Weissagungen und Ratschläge zu. König Krösus von Lydien erhielt auf seine Anfrage hin, ob er das Perserreich angreifen sollte, die Voraussage: Wenn er den Grenzfluss überschreiten würde, »würde er ein großes Reich zerstören«. Nach der verlorenen Schlacht gegen die Perser musste er erkennen, dass das Orakel anscheinend sein eigenes Reich gemeint hatte. Ausgerechnet dieses berühmte Orakel sollte Sokrates einen wichtigen Anstoß für sein öffentliches Wirken liefern. Bis Mitte dreißig hatte er sich von öffentlichen Auftritten fern gehalten. Sein Freund Chairephon war aber so von Sokrates’ Weisheit überzeugt, dass er sich selbst an das Orakel wandte. Wie Sokrates in seiner berühmten Verteidigungsrede vor dem Athener Gericht anführte, hatte Chairephon, der nicht nur für sein Ungestüm und seine Spontaneität berühmt war, sondern auch als eine Stütze der Athener Demokratie gegolten hatte, bei seinem Besuch in Delphi dem Orakel die Frage gestellt, ob irgendein Mensch weiser wäre als Sokrates. Wenig überraschend für Chairephon antwor-tete das Orakel, dass in der Tat kein Mensch weiser sei als Sokrates. Für Sokrates kam dieser Urteilsspruch des Gottes Appollo, der hinter dem Orakel von Delphi als Inspiration vermutet wurde, als völlige Überraschung. Er war nämlich bisher vor allem zu einer Erkenntnis über sich selbst gekommen: »Ich weiß, dass ich nichts weiß.«
    Ich weiß, dass ich nichts weiß.
    Dabei meinte Sokrates nicht, dass er gar nichts wusste, sondern, dass er sich bewusst war, dass sein gesichertes Wissen an entscheidenden, für ihn wichtigen Punkten noch lückenhaft war. Wie aber sollte er nun dieses erkannte und sich selbst einge-standene Nichtwissen mit dem göttlichen Spruch, dass keiner weiser sei als er selbst, in Einklang bringen? Diese Frage bewegte Sokrates zutiefst, denn er war kein Mensch, der ohne Grund die überliefer-ten Traditionen und Autoritäten in Frage stellte. Er versuchte lediglich, das Wissen seiner Zeit auf eine gesicherte Grundlage zu stellen. Also ging er erst einmal davon aus, dass das Orakel normalerweise wahre Aussagen machte. In seinem eigenen Fall sah er aber keine Möglichkeit, dass das Orakel recht haben könnte. Wie es für seine Denkweise typisch war, beschloss Sokrates daher, den Orakelspruch zu überprüfen. Er hatte sich selbst geprüft und als mangelhaft befunden. Der Orakelspruch zwang ihn nun dazu, auch die anderen zu prüfen. Denn der Spruch konnte nur wahr sein, wenn das Wissen der anderen noch mangelhafter wäre als sein eigenes, was Sokrates aber kaum für möglich hielt. Schließlich empfand er große Loyalität gegenüber seiner Heimatstadt Athen und ihren Gesetzen und konnte sich nicht wirklich vorstellen, dass er weiser wäre als ihre Führer.

    Die Entlarvung des Nichtwissens
    So veranlasste der Orakelspruch Sokrates im Alter von 35 Jahren sein öffentliches Wirken zu begin-nen. Sokrates setzte seine Prüfung bei den Menschen an, die die Geschicke seiner Heimatstadt in entscheidender Weise prägten: bei den Staatsmännern und Politkern Athens.
    Das Nichtwissen der Politiker
    Athen war nicht nur eine Demokratie, es war eine Basisdemokratie. Nicht selten wurde ein Großteil der wahlberechtigten Bürger Athens bei Entscheidungen herangezogen. Politiker, die ihre jeweiligen Ansichten durchsetzen wollten, mussten deshalb in der Lage sein, Tausende von Zuhörern bei Versammlungen im Freien durch ihre Reden zu überzeugen. Diese Notwendigkeit führte dazu, dass die führenden Politiker gemeinhin ausgezeichnete Redner waren, ihre Inhalte mit wirksamen Argumenten vorzutragen wussten und in dem Ruf standen, besonders erfahren und weise zu sein. Sokrates beschloss also, den göttlichen Orakelspruch folgendermaßen auf seine Bedeutung hin zu überprüfen: Er begab sich zu einem Athener Politiker, der allgemein als einer der weisesten galt, um zu demonstrieren, dass sich das Orakel in seinem Fall nun doch einmal geirrt haben musste. Zu seiner Überraschung verlief der erste Dialog mit diesem Politiker allerdings völlig anders als erwartet. Statt Weisheit legte Sokrates’ Gesprächspartner ein
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