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Sohn des Meeres

Sohn des Meeres

Titel: Sohn des Meeres
Autoren: Isabell Schmitt-Egner
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Gesicht. Auf Sams Kopf zeigten sich zarte blonde Haare und er hatte die Augen seines Vaters. Sam bewegte die Fluke und zirpte leise. Wieder erschauerte Vincent vor Liebe zu diesem kleinen Geschöpf und in dem Moment wusste er, dass er jeden töten würde, der seinen Sohn  auch nur anrührte. Er nahm Sam in den Arm, ließ ihn an seiner Schulter ruhen, spürte die Fluke, die sich an seine Haut drückte. Nach einer Weile wurde der kleine Körper schlaff und Sams Köpfchen ruhte an Vincents Brust. Er war eingeschlafen und Vincent sirrte seine Frau leise um Erlaubnis an, seinen Sohn im Schlaf auf dem Arm halten zu dürfen. Sie ließ ihn gewähren. Auch, weil sie ihren Hunger stillen wollte und nach zwei Wochen Baby rund um die Uhr, schien ihr diese Entlastung ganz gelegen zu kommen. Sam schlummerte in Vincents Arm, und ab diesem Tag verweigerte die Sirene ihm sein Kind nie wieder.
     
     
    Vincent saß am Strand und wartete. Marc würde kommen, da war er sich sicher. Sie hatten schwere Zeiten hinter sich und verstanden sich nicht immer, aber ohne einander hielten sie es auch nicht aus. Die Sonne stand schon tief. Vincent konnte nicht mehr lange auf seinen Bruder warten, er musste zurück zu seiner kleinen Familie. Nachts ließ er sie nie allein.
    Endlich tauchte weiter hinten eine Gestalt auf und Vincent erkannte ihn sofort an seiner Art zu gehen. Er lief seinem Bruder entgegen, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren.
    „Wo warst du denn? Ich warte hier schon ewig“, sagte er als Begrüßung.
    „Was soll denn das, Vince? Wir sollten uns nicht zu oft treffen. Das weißt du“, sagte Marc.
    „Ich habe einen Sohn.“
    „Wie?“
    „Ja“, sagte Vincent glücklich und vergaß ganz, auf seinen Bruder sauer zu sein. „Ich habe einen richtigen Sohn! Er ist völlig gesund, er hat Kiemen ... und meine Augen. Er ist perfekt. Du solltest ihn sehen!“
    Marc betrachtete ihn nachdenklich.
    „Das ... das ist toll, Vince. Das freut mich für dich.“
    „Hey ... es tut mir leid. Das mit dem perfekt ...“
    „Schon gut“, unterbrach ihn Marc. „Ich komme damit zurecht. Es ... ist schön, dass du einen Sohn hast. Das wolltest du immer.“
    „Ich würde ihn dir so gern zeigen. Er heißt Sam.“
    Marc holte tief Luft. „Vince, das geht nicht. Fang nicht an, ihm Menschennamen zu geben. Fang es wirklich gar nicht erst an. Lass ihn da unten, wo er hingehört.“
    „Ich kann ihn vielleicht nicht für immer dort unten lassen. Denk doch mal nach. Er könnte wie wir sein. Dann will er irgendwann rauf und bevor er das unvorbereitet tut, bringe ich es ihm bei. Kann ich auf deine Hilfe zählen?“, fragte Vincent.
    Marc schwieg und starrte auf den Sand zu seinen Füßen. „Ich kann es nicht versprechen.“
    „Aber du denkst darüber nach.“
    „Ja. Das tue ich.“
    Marc starrte wieder nach unten. Vincent trat auf ihn zu und nahm ihn kurz in den Arm.
    „Mach’s gut, Mann. Ich muss los. Nachts lasse ich die beiden nicht allein. Wir sehen uns.“
    Marc sagte nichts, aber das war seine Art und Vincent nahm es ihm nicht übel. Jeder von ihnen kämpfte mit seinem Leben und seiner Vergangenheit, und dieser Kampf würde für sie beide niemals enden.
     
     
    Im Schutz ihrer Wohnhöhle legte sich Vincent in den Sand. Das Meer war ruhig und die Schwärze der Nacht umgab ihn. Neben sich spürte er seine Frau, die Sam stillte. Gleich würde sich sein Sohn pappsatt von seiner Nahrungsquelle abkoppeln und dann sofort wieder in Schlaf fallen. Er hörte die zarten Schluckgeräusche und tastete im Dunkeln nach ihm. Er fand den Arm der Sirene, die den Jungen hielt und seine Hand glitt zu Sams kleiner Flosse, die sich zusammenrollte und entspannte. Als er danach griff, hielt Sam sofort still. Er mochte es, wenn sein Vater ihn berührte. Vincent streichelte den kleinen Fischkörper und dann reichte ihm seine Frau den gemeinsamen Sohn hinüber. Immer öfter teilten sie es sich so ein, dass sie nebeneinander im Sand lagen und Sam auf Vincents Brust schlief. Erstaunlicherweise fiel er nie herunter, auch wenn Vincent sich im Schlaf regte. Sam schaffte es stets, sich der Bewegung anzupassen und dann weiterzuschlummern.
    Vincent spürte sein Kind auf sich liegen und schloss die Augen. Er stellte sich vor, was sie alles zusammen unternehmen würden. Wie sie im freien Wasser schwimmen würden, was er seinen Sohn alles lehren konnte. Aber bis er ihn mit zur Oberfläche nehmen konnte, würden noch Jahre vergehen, aber das war nicht schlimm. Sie hatten alle Zeit
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