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Sohn des Meeres

Sohn des Meeres

Titel: Sohn des Meeres
Autoren: Isabell Schmitt-Egner
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und ob er einen Termin hatte. Den Termin seines Lebens, und nicht nur seines eigenen. Sekunden würden über Leben und Tod entscheiden. Und die Natur. Aber zur Not würde er sich auch gegen die Natur stellen, wenn es verlangt wurde. Vincent trug seine Fracht den Strand entlang. Sein Ziel waren einige Felsen, die sich an einer einsamen, recht menschenverlassenen Stelle gruppierten. Das Meer rauschte zu seinen Füßen. Es war ihm so vertraut und jetzt, wo er sich nicht mehr in dem Küstenstädtchen aufhielt, fühlte er sich wohler. Und sicherer. Er konnte nicht begreifen, warum Marc immer die Nähe von Siedlungen und Städten suchte.
    Vincent erreichte die Felsen und stellte die Flaschen ab. Er schaute sich um und als er niemanden entdeckte, kletterte er zwischen die Steine und begann zu graben. Das Netz und die Plastiktüte hatte er locker im Sand verscharrt. Er kleidete sich aus und stopfte Hose, Hemd und Schuhe in die Tüte. Dann spähte er aus seinem Versteck und suchte mit den Augen den Strand ab. Er hatte freie Bahn. Vincent breitete das Netz auf dem Sand aus und legte die Flaschen hinein. Dann fasste er es zusammen und schleppte es in die Brandung. Das Wasser strömte um seinen Körper und Vincent warf sich nach vorne. Er tauchte ab und zog die Sauerstoffflaschen mit sich.
    Zielstrebig schwamm er in die Tiefe. Vincent öffnete den Mund und ließ das Wasser hineinfließen. Er trank einige Schlucke. Dann verschloss sich seine Kehle automatisch und das Wasser strömte durch die Kiemenschlitze hinter seinem Ohr. Vincent schwamm in einer sauerstoffreichen Strömung in das tiefe, kühle Blau. Es war wichtig, dass er sich weit genug vom Ufer entfernte, wo er nicht zufällig auf tauchende Menschen traf. Um diese Jahreszeit war das zwar unwahrscheinlich, aber er ging nicht das kleinste Risiko ein. Er durfte sich keinen Fehler leisten. Vincent glitt am Grund entlang. Bis hierher fiel noch genug Licht, dass er sich orientieren konnte und er hielt auf ein Riff zu, das er inzwischen auswendig kannte mit all seinen Nischen und Vertiefungen.
    Er glitt in eine Felsennische, die genug Platz bot, und ihn ganz verbarg. Die Flaschen positionierte er neben sich, sodass sie sicher zwischen den Steinen ruhten. Vincent konzentrierte sich auf seinen Körper und leitete die Rückverwandlung ein. Es kribbelte und schmerzte. Seine Beine überzogen sich mit einem blausilbernen Schimmer, er fühlte das schmerzhafte Ziehen, seine Füße formten sich zu Flossen, vereinigten sich zu einer großen Fluke. Es bildete sich eine neue Haut, die seinen Fischkörper umgab und erst ab der Taille wieder in menschliche Hautstrukturen überging. Etwas erschöpft blieb Vincent noch für zwei Minuten in seinem Versteck liegen. Dann richtete er sich auf und packte das Netz neben sich, an dem bereits kleine Fische herumzupften. Er stieß einen sirrenden Laut aus und die Fische stoben auseinander. Vincent zog das Netz mit den Sauerstoffflaschen hinter sich her, deren Job es war, vielleicht ein neues Leben zu retten.
     
     
    Die Höhle lag versteckt, aber nicht so tief, dass kein Licht mehr bis hierher drang. Und Licht brauchte er. Vincent hoffte, dass es tagsüber geschehen würde. Seine Augen funktionierten zwar gut in der Dunkelheit, aber ein schnelles Erkennen der Situation konnte in diesem Fall über Leben und Tod entscheiden. Vincent näherte sich dem Eingang, den er mit einem rostigen Eisengitter und anderen Fundstücken aus dem Meer gesichert hatte. Kein Raubfisch konnte hier eindringen. Er positionierte die Pressluftflaschen neben dem Eingang und machte sich daran, das Gitter zu öffnen. Er glitt in die Höhle hinein und schwamm durch den schmalen Zugangstunnel, an dessen Ende es wieder heller wurde. Die kleine Höhle war ideal und er hatte lange nach so einem Ort gesucht. Licht fiel von oben herein, denn die Höhlendecke besaß eine große Öffnung, die Vincent ebenfalls mit Gittern vor zudringlichen Fischen gesichert hatte. Bläuliche Reflexionen verteilten sich über die Felswände, kleine Fische suchten die Ritzen nach Essbarem ab. Vincent glitt zu einer schattigen Ecke und sah im Näherkommen die weiß-silberne Fluke im Sand ruhen. Sie schlief meistens, wenn er zurückkam. Die Nahrung, die er ihr brachte, legte er in angemessenem Abstand auf den Boden und entfernte sich dann wieder. In letzter Zeit wurde es immer schwieriger für ihn, sich ihr zu nähern.
    Er sirrte vorsichtig, um sich anzukündigen und fast sofort erhob sich die Sirene und
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