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Sohn des Meeres

Sohn des Meeres

Titel: Sohn des Meeres
Autoren: Isabell Schmitt-Egner
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entspannte sich deutlich, wenn er diese Haltung einnahm. Vermutlich, weil er aus dieser Position keinen Angriff starten konnte. Während er Stunden damit verbrachte, sich harmlos zu geben, dachte er über einen Namen für seinen Sohn nach. Seine Mutter würde ihn später mit einer Sirrmelodie rufen, eine Abfolge von Tönen, die für seine Person reserviert und unverwechselbar war. Nur übersetzen konnte er den Sirenennamen seines Sohnes nicht. Überhaupt war die Sprache der Sirenen nicht vergleichbar mit der menschlichen Ausdrucksweise. Für viele Dinge gab es kein Wort und auch keinen anderen Ausdruck. Wenn sein Sohn fähig war, an der Luft zu atmen, dann würde Vincent ihm alles beibringen. Die Menschensprache und alle damit verbundenen komplizierten Denkvorgänge, das Wandeln seines Fischkörpers in Beine. Er dachte daran, was Marc sagen würde, wenn er ihm seinen Sohn präsentierte. Vielleicht wurde er dann weich und sah ein, dass er sich falsch verhalten hatte. Marc war ein sehr wichtiger Faktor, seine Versicherung für schlechte Zeiten, wenn auch keine besonders zuverlässige. Er brauchte seinen Bruder und sobald er die Möglichkeit bekam, würde er sie nutzen und noch mal mit ihm reden.
    Vincent streckte sich im Sand und rutschte unauffällig etwas nach vorne, stets darauf gefasst, angefaucht zu werden.
    Er ist so schön, sagte er, so gut das in Sirrlauten möglich war. Denn schön war kein Wort, das so ähnlich in der Sirenensprache vorkam. Es gab Ausdrücke für viel , also sagte er sinngemäß, dass sein Sohn in ihm viel Zuspruch auslöste. Besser konnte er es nicht sagen, aber es verfehlte seine Wirkung nicht. Seine Frau lächelte und er las Stolz in ihrem Gesicht. Der Säugling lag an ihrer Brust und trank. Seine kleine Flosse rollte er zusammen und entspannte sie wieder. Das tat er während der gesamten Nahrungsaufnahme und Vincent wurde nicht müde, ihn dabei zu beobachten, wie er je nach Größe des Hungers den Rhythmus änderte. Gegen Ende einer Mahlzeit schlief er meist ein und dann hing seine Fluke schlaff herunter und zitterte höchstens im Schlaf, wenn ein Traum seine kleine Seele erregte.
    Ich möchte ihn einmal halten, sagte Vincent vorsichtig. Goldene Augen musterten ihn.
    Ich bin dagegen.
    Ich liebe ihn. Nie würde ich ihm etwas tun. Siehst du nicht, wie ich bin?
    Sie schaute nachdenklich auf ihr Kind herab. Er ließ ihr Zeit, signalisierte Ruhe, auch wenn er innerlich brodelte. Er streckte die Arme aus, hielt aber Abstand.
    Du musst ihn mit Zartheit halten, sagte sie. Ganz ohne Kraft.
    Das tue ich.  
    Er setzte sich auf, streckte immer noch die Arme nach vorn. Langsam nahm sie den Säugling und legte ihn in Vincents Hände. Ein Schauer jagte durch den Meermann, als er den Körper seines Sohnes berührte. Unendlich behutsam nahm er ihn an sich, lagerte ihn in seine Armbeuge. Halb rechnete Vincent damit, dass das kleine Wesen ihn als fremd identifizieren und weinen könnte, aber das tat es nicht. Das Baby sah zu ihm hoch, mit grünen Augen, und wirkte ganz ruhig. Es rollte die Schwanzflosse zusammen und entspannte sie wieder. Er sirrte seinem kleinen Sohn zärtlich zu und das Baby antwortete mit denselben Gluckslauten, mit denen es auch seine Mutter bedachte. Vincent schossen die Tränen in die Augen, aber das sah man unter Wasser nicht. Er spürte das Brennen, beachtete es aber nicht weiter. Er hielt seinen Sohn im Arm, sein eigenes Kind – und es war perfekt. Es gab bei den Sirenen kein Wort für perfekt , genauso wenig wie für schön. Deshalb dachte Vincent diese Worte in der Sprache der Menschen.
    Du bist perfekt. Du bist vollkommen.
    Seine Hand strich über die kleine, noch weiche Schwanzflosse, den winzigen Körper, der schon alles hatte, was er brauchte, nur in Miniaturausführung.
    Dein Name ist Sam. So sollst du heißen.
    Er war sich ganz sicher, dass dies der richtige Name für seinen Sohn war. Es wäre vielleicht besser gewesen, zu warten, bis sein Sohn das erste Mal die Oberfläche besuchte, bevor er ihm einen Menschennamen gab, aber Vincent wollte nicht mehr warten. Und Sam sah ihn so selbstverständlich an, als habe er seinen Namen schon akzeptiert und abgenickt. Vincent lächelte ihn an und nahm ihn sanft hoch, um sein Gesicht genauer zu betrachten. Ein besorgtes Sirren seiner Frau besänftigte er durch leises Zurücksirren. Unter keinen Umständen wollte er Sam schon wieder hergeben. Er hob das kleine Meermenschenkind auf Augenhöhe vor sich und musterte das zufriedene kleine
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