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Sohn des Meeres

Sohn des Meeres

Titel: Sohn des Meeres
Autoren: Isabell Schmitt-Egner
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unschlagbares Argument bei ausgerissenen Jugendlichen.
    „Ich könnte dir was zum Essen bringen“, bot Laine an. „Und … oh, warte, ich hab noch einen Schokoriegel im Rucksack. Magst du den haben?“ Sie stellte ihren Rucksack auf den Boden und wühlte darin herum. Der Junge beobachtete sie und kam einen Schritt näher. Laine fand den Riegel unter dem ganzen Kram, den sie mit sich herumschleppte, und zog ihn aus der Tasche. Sie hielt ihn hoch.
    „Hier, kannst du essen. Magst du den?“
    „Ich weiß nicht. Ich habe so was noch nie probiert.“
    „Du hast noch nie Schokolade gegessen?“
    Er schüttelte leicht den Kopf.
    Oh mein Gott, dachte Laine. Wenn der mal nicht aus einer schlimmen Sekte geflohen ist.
    Oder vor irgendeiner verschärften Glaubensgemeinschaft, die bei Wasser und Brot lebten, und für die jedes Vergnügen eine Sünde war.
    Sie streckte ihm die Hand mit dem Riegel entgegen. Der Junge betrachtete interessiert ihre ausgestreckte Hand, kam aber nicht näher.
    „Okay, alles klar.“ Laine nahm den Riegel wieder an sich.
    Sofort breitete sich ein Ausdruck der Enttäuschung auf seinem Gesicht aus. Er tat ihr leid. Sie seufzte.
    „Willst du das jetzt haben oder nicht?“
    Er nickte.
    „Gut“, sagte sie. „Dann geb ich es dir jetzt. Aber du musst es auch nehmen.“ Sie ging ein paar Meter in seine Richtung, dann blieb sie wieder stehen.
    „Ich sollte das nicht machen“, sagte er plötzlich.
    „Was?“, fragte sie.
    „Das alles. Mit dir reden und das probieren, was du da hast. Das ist bestimmt nicht gut. Ich weiß, dass ich es nicht soll, aber ich möchte es so gern.“
    „Wer sagt, dass du das nicht sollst? Manchmal muss man Sachen ausprobieren im Leben, um zu entscheiden, was gut ist“, sagte Laine.
    Er presste die Lippen zusammen.
    „Ich probiere es.“ Er nahm den Schokoriegel und wich sofort wieder zurück. Er drehte ihn und roch daran.
    „Das riecht interessant. Wie isst man es?“, fragte er.
    „Hast du noch nie verpacktes Essen gegessen?“, fragte Laine und versuchte, sich das Hinterwäldlerkuhdorf vorzustellen, aus dem er kam. Wahrscheinlich eine  Selbstversorgergemeinschaft ohne Strom, fließendes Wasser und Plastikspielzeug. Oder … Laine kam ein erschreckender Gedanke. Was, wenn man ihn eingesperrt hatte? Vielleicht war er nach Jahren der Gefangenschaft geflohen. Es gab ja solche Verrückten. Das würde dann auch seine blasse Haut erklären, dachte Laine. Vielleicht ist er deshalb in der Höhle. Er kennt kaum das Tageslicht … oh Gott.
    Sie musste damit aufhören. Ihre Fantasie schwappte wieder über. Es konnte auch eine ganz alltägliche Erklärung für das alles geben.
    „Noch nie“, sagte er.
    Armer Kerl, dachte sie. Und was für eine Verschwendung, so einen gut geratenen Jungen der Zivilisation fernzuhalten. Einfach unglaublich, was es heutzutage noch so alles gab.
    „Du musst erst das Papier abmachen. Ich zeige es dir.“
    Laine ging langsam auf ihn zu.
    „Darf ich?“ Sie griff nach dem Riegel und nahm ihn aus seiner Hand. Er schaute zu, wie sie das Papier löste, und eine bräunliche Stange zum Vorschein kam.
    „Hier, das kannst du jetzt essen.“ Sie gab ihm die Schokolade zurück und er biss vorsichtig eine Ecke ab.
    „Und, schmeckt es?“, fragte sie.
    Er lächelte.
    „Es schmeckt sehr. Danke, dass ich das essen darf.“ Er biss ein weiteres Stück ab und kaute mit halb geschlossenen Augen darauf herum. Ein Anfang war gemacht. Jetzt musste sie dranbleiben.
    „Ich heiße Laine“, sagte Laine. „Und wie heißt du?“
    Er überlegte ein paar Sekunden.
    „Sam.“
    „Nein, so heißt du nicht“, sagte Laine. Er sah sie ein wenig erschrocken an.
    „Egal. Du musst mir deinen Namen nicht sagen. Ich werde dich Sam nennen, wenn du es willst.“
    „Gut“, nickte er. „Das hat wirklich sehr gut geschmeckt. Hast du noch mehr von diesen Sachen?“
    „Sorry, hab ich nicht. Aber ich kann dir was holen, wenn du magst“, sagte Laine.
    Sam überlegte.
    „Ja, bitte bring mir noch was.“
     
    Eine gute Stunde später kam Laine völlig außer Atem und mit hochrotem Kopf im Camp an. Liz saß im Lunchzelt mit einem Buch und las. Sie sah auf, als Laine das Zelt stürmte.
    „Lizzy!“
    „Laine, meine Güte, wo warst du denn? Hab dich schon überall gesucht … der Hutch hat Gott sei Dank nix gemerkt. Ein Hoch auf seine Verpeiltheit.“
    Laine packte sie an der Hand.
    „Lizzy, du musst mitkommen. Ich muss dir was total Abgefahrenes erzählen. Aber das darf keiner
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