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Söhne und Planeten

Söhne und Planeten

Titel: Söhne und Planeten
Autoren: Clemens J. Setz
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ich, noch nicht, sagte Templ.
    Der Junge schaute auf die Tischplatte nieder, in der sich eine Lichtquelle spiegelte. Templ reichte ihm die Hand und der Junge drückte einmal schwach zu.
    – Sie schreiben Bücher, oder?
    Templ überlegte einen Augenblick, dann wurde ihm bewusst, was der Junge gesagt hatte. Aber ja. Ja.
    – Mhm, stimmt.
    – Ich hab Sie in der Zeitung gesehen, deswegen –
    – Ja, in der Zeitung.
    Templ war entzückt. Der Junge dagegen schien die Schönheit seiner Äußerungen noch gar nicht bemerkt zu haben, denn er blickte hilfesuchend zu Jacqueline auf:
    – Wann kommt die Polizei?
    Wozu fragte sie das jetzt wieder? Templ wollte das Gespräch auf andere Dinge lenken – er holte Luft, um zu fragen, seit wann er ihn schon kenne, welche Bücher er von ihm gelesen habe, da kam ihm der Junge zuvor:
    – In frühestens zwanzig Minuten, haben sie gesagt. Ich hab’s nicht mehr länger ausgehalten.
    – Versteh ich, sagte Jacqueline.
    Templ überlegte, inwiefern sich die Antwort des Jungen auf ihn bezog.
    – Du kannst von mir aus hier bei uns warten, sagte seine Frau.
    Dass sie immer alles kaputt machen musste! Sie ertrug es einfach nicht, dass ihm, Templ, einmal geschmeichelt wurde. Es hatte keinen Zweck. Aberder Junge gefiel ihm trotzdem. Er schien sehr mutig zu sein.
    Es klingelte. Der Junge zuckte entsetzt zusammen.
    – Ich bin nicht da!
    Jacqueline spähte durch die Vorhänge.
    – Es ist … von nebenan …
    Templ war schon auf dem Weg, die Tür aufzumachen, da wurde er zurückgehalten. Seine Frau sprach sehr schnell und sehr leise:
    – Mach nicht auf, es ist sein Vater, der ist wieder einmal total besoffen, und er hat im Haus zu randalieren angefangen. Jetzt warten wir gemeinsam, bis die Polizei da ist.
    Ein Kampf! Templ holte tief Luft. Gleichzeitig hallten ein paar Worte in ihm nach: besoffen … randaliert … Polizei. Er selbst war ebenfalls besoffen, genau genommen. Bestimmt hatten alle es längst gemerkt und deshalb hatte der Junge … jetzt sah er alles ganz klar … der Junge hatte ihn nur beruhigen wollen!
    Sein Rausch, sein Schwindel, sein leicht betrunkener Taumel – alles war mit einem Mal verschwunden: Die Wohnungstür meldete sich wieder, mit einer dünnen Melodie aus drei Tönen. Dahinter wartete der Vater des Jungen. Wie hieß er? Kemmer … Kemmet …
    – Der Arme, sagte er.
    Jacqueline schien zufrieden mit seiner Antwort. Er folgte ihr zurück in die Küche. Der Junge saß immer noch in der gleichen resignierten Haltung am Küchentisch und starrte auf einen unbestimmbaren Punkt jenseits aller Dinge.
    – Ich bin nüchtern, sagte Templ leise.
    Der Junge reagierte nicht. Ohne, dass er sich dagegenwehren konnte, spürte Templ große Sympathie. Er mochte wie alt sein … fünfzehn, sechzehn, bestimmt nicht viel mehr. Obwohl der Eindruck schon sehr täuschen konnte, wie man bei seinem eigenen Sohn sah. Bald acht, aber immer noch wie ein Fünfjähriger.
    Es klingelte noch einmal, dann ging es endgültig in Sturmläuten über. Templ eilte zur Tür, diesmal hielt ihn niemand zurück.
    Ein hochrotes Gesicht mit verwirrten Augen erschien im Türspalt.
    – Bitte?
    – Her damit!, sagte das Gesicht.
    Rot wie ein Pavianhintern. Schwerer Zungenschlag.
    – Wie bitte?
    Templ spürte die wohltuende Welle von Provokationslust in sich, auf die er die letzten zehn Minuten gewartet hatte. Da war sie.
    – Her damit, lallte der Betrunkene.
    – Was
Her damit
. Können Sie sich nicht klar ausdrücken?
    Das Gesicht wurde noch ein wenig röter.
    – Jetz… jetz… gib heaah!
    Und er versuchte, Templ auf die Seite zu drängen, um ins Haus zu gelangen.
    Endlich!
    Templ warf sich mit voller Kraft auf den wackligen Mann, dieser gab ohne den geringsten Widerstand nach und fiel wie ein Brett auf den Rücken. Er stand auch nicht mehr auf. Nur die Beine traten, wie bei einem in Ohnmacht gefallenen Vogel, sinnlos in der Luft.
    Templ wirbelte herum und hielt sich am Türrahmenfest. Er hatte Lust, den Mann mit seinen Füßen zu bearbeiten, ihn zu zertreten, dieses Ungeheuer, aber er konzentrierte sich darauf, ruhig zu bleiben. Der hässliche Fleck auf dem Verputz war ihm vorher nie aufgefallen.
    Dann riss er sich auch davon los und eilte zurück, randvoll mit Sieg, aber aus der Küche kam ihm der Junge entgegen, bleich und entsetzt. Und in diesem Moment kündigte sich der Schwindel wieder an, der Raum erschien riesengroß und Templ taumelte, weil er offenbar die Kontrolle über seine Balance verloren
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