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Söhne und Planeten

Söhne und Planeten

Titel: Söhne und Planeten
Autoren: Clemens J. Setz
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Zwischenspiel mit seiner Geliebten nach Hause gegangen war, hatte ihm der grauhaarige Obdachlose Beifall gespendet. Leichter Regen, ein zertretener Schirm. Ein zerbrochenes Bild.
    Die Innere Stadt hatte ihn also eingeholt, hier, in seinem Zuhause.

3
Hilfestellung
    Drei Wochen später konnte René Templ seiner Frau endlich sagen, dass er nicht gedachte, in seinem Leben noch einmal umzuziehen. Sie sah ihn zuerst verständnislos an, dann brach eine Flut von Beschimpfungen und Anschuldigungen aus ihr hervor, gefolgt von einem sehr alten Lied, das jede Mutter irgendwann zu singen lernt:
    – Mein Kind … er ist mein Kind … ich werde nicht zulassen, dass du …
    Er hörte ihrem verzweifelten Singsang eine Weile zu, dann fühlte er sich stark genug und ging in sein Arbeitszimmer. Lange stand er am Fenster und betrachtete die durch seinen endgültigen Sieg veränderte Nachbarschaft.
    Eine große, feingliedrige Gelse, ein Männchen, tänzelte auf der anderen Seite der Scheibe. Templ öffnete das Fenster und erschlug sie mit der bloßen Hand.
    Wieder schaute er auf die Straße hinaus. Im Haus gegenüber war das Kellerfenster eingeschlagen worden.
    Er wusste, dass ihn ein weiterer Streit erwarten würde, wenn er diesen Raum verließ. Und irgendwann musste er ihn verlassen. Er öffnete die notdürftig reparierte Schublade für die geborgten Bücher. Seit einigen Tagen lagerte er hier ein paar Flaschen.
    Der erste Schluck war der schlimmste. Whisky brannte entsetzlich und betäubte die Zunge. Aber je länger er trank, desto angenehmer und vielsagender wurde diese Taubheit. Er sprach mit sich selbst, zuerst leise, dann immer lauter.
    Er war im Recht. Niemand konnte ihn einfach so vertreiben. Er liebte das Haus – der Gedanke rührte ihn fast zu Tränen –, das alte, schöne Haus, das ihm gehörte … das er liebte … Alle wollten sie ihn nur loswerden oder zu irgendwas zwingen, das er nicht wollte, das er nicht
war
, aber er würde sich wehren … wehrte sich ohnehin schon die ganze Zeit … Er war im Grunde ein Held. Ja, das war es. Man musste die Wahrheit ja bloß aussprechen, dann wurde vieles leichter. Auch wenn die Wahrheit bitter war. Bittere Wahrheit. Ihm kamen die Tränen. Er goss sich ein weiteres Glas Whisky ein.
    Später am Nachmittag klopfte es an der Tür. Templ hob den Kopf, der ihm im Schlaf auf die Hände gesunken war.
    Seine Frau rief durch die Tür, dass es sehr dringend sei.
    Templ lief sofort zur Tür und stemmte sich gegen die Schnalle. Aber es kam kein Druck von außen, er ließ wieder locker. Und sofort stemmte er sich wieder dagegen, vielleicht war es ja ein Trick, eine Falle –
    – Komm bitte, es ist was passiert.
    – Nein!
    Er erschrak über seine eigene Stimme. Sie hatte sich in einen brüllenden Bariton verwandelt.
    – Dann sieh aus dem Fenster … bitte!, sagte sie. Der Bub von drüben.
    – Was?
    Welcher Bub?
    – Er steht da draußen in der Kälte.
    – Was?
    – Na, da draußen. Schau selbst.
    Templ schaute aus dem Fenster. Tatsächlich, da stand der Sohn der Nachbarn vor deren Haus und trat von einem Bein auf das andere, um sich warm zu halten. Auch schlug er sich von Zeit zu Zeit mit den Händen auf die Brust oder rieb sich den Nacken. Er trug nur eine leichte Jacke und Hausschuhe.
    Plötzlich sah Templ etwas Ungeheuerliches: Seine eigene Frau – gerade war sie noch neben ihm, auf der anderen Seite der Tür gewesen, dann war sie plötzlich ebenfalls dort draußen. Ihm wurde schwindlig und er sah auf die Vorhänge, die Moiré-Muster produzierten, als würden sie schmunzeln.
    Seine Frau ging zu dem Jungen und redete mit ihm. Jetzt hielt es auch Templ nicht mehr länger aus. Er verließ das Zimmer und ging hinunter. Er blieb allerdings in der Haustür stehen und beobachtete von dort das Schauspiel. Seine Frau und der Junge kamen näher.
    – Vielleicht gehen wir ein wenig ins Warme, sagte seine Frau und blickte Templ vielsagend an.
    Was war jetzt? Hinein, zu ihnen? Aber schon waren sie an ihm vorbei, als wäre er unsichtbar. Was wurde hier gespielt? Templ ging dem Jungen nach. Seine Frau führte ihn in die Küche, von wo aus man zum Nachbarhaus hinüberblicken konnte.
    – Also … vielleicht setzt du dich mal hin. So …
    Der Junge tat alles, was sie sagte. Templ stand im Kücheneingang und verschränkte die Arme über der Brust: Ich bitte um Erklärung.
    – Ich hab die Polizei schon angerufen, sagte der Junge schließlich und beäugte Templ von der Seite.
    – Wir kennen uns, glaube
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