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So will ich schweigen

So will ich schweigen

Titel: So will ich schweigen
Autoren: Deborah Crombie
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und spie Kanalwasser aus, vermischt mit dem Wodka, den er getrunken hatte. Immer noch hustend rang er nach Atem, als er plötzlich feststellte, dass er stehen konnte. Aber die Kälte ließ seine Arme und Beine rapide taub werden – er musste sich bewegen, solange er es noch konnte.
    Durch den Schleier des Wassers, das von seinen Haaren triefte, konnte er das nahe Ufer ausmachen. Sein Arm war wie Blei, doch er zwang sich, zu einer weiten Kraulbewegung auszuholen. Als seine Finger die feste Uferkante berührten, packte er mit aller Kraft zu. Da quetschte plötzlich ein ungeheures Gewicht seine Hand zusammen.
    Mit einem schrillen Schrei riss Kit sich los, schlang mit einem Satz die Arme um Leos Knöchel und zog, so fest er konnte.
    Leo verlor das Gleichgewicht, doch er fiel nach hinten und nicht in den Kanal, und bis Kit auf Händen und Knien ans Ufer geklettert war, stand er bereits wieder.
    Mit einem Grunzen, in dem mehr Hass lag als in jedem Schimpfwort, holte Leo zum Tritt aus, und seine Stiefelsohle traf Kit mit voller Wucht am Kinn.
    Kits Kopf wurde nach hinten gerissen, der Junge wirbelte herum, und im nächsten Moment lag er mit dem Gesicht nach unten im Gras. Der metallische Geschmack des Bluts aus seiner aufgesprungenen Unterlippe füllte seinen Mund, und er musste husten. Sein Kopf dröhnte von der Erschütterung, und er schüttelte ihn wie ein angeschlagener Boxer, als er sich auf die Knie hochhievte und schwankend aufstand.
    Er spannte die Muskeln an und ballte die Fäuste in Erwartung des nächsten Schlags, doch dann merkte er, dass Leo sich von ihm entfernte und zur Hütte zurückging.
    »Du Schwein!«, schrie er und begann ihm nachzusetzen. Der Gedanke, dass er einen Vorsprung hätte, wenn er jetzt wegliefe, wurde so schnell verdrängt, wie er ihm gekommen
war. Niemand versuchte ungestraft, ihn zu ertränken, und trat ihm dann auch noch ins Gesicht. Er stolperte vorwärts, gehemmt durch das Gewicht seiner mit eisigem Wasser getränkten Kleider und das Rauschen in seinem Schädel. »Hast du das auch mit Peter gemacht?«, keuchte er. »Hast du ihn auch gestoßen und unter Wasser gedrückt?«
    Leo verschwand hinter dem Schuppen, und Kit hielt inne, plötzlich verunsichert. Doch ehe er sich überlegen konnte, ob er ihm folgen sollte, tauchte Leo schon wieder auf und kam auf ihn zu.
    Selbst im Dämmerlicht konnte Kit sehen, was Leo in den Händen hielt.
    Er starrte in die Mündung der Schrotflinte, dann in Leos Augen, und er wusste, dass er tot war.
     
    »Lally, bleib im Auto. Warte auf die Polizei.« Kincaid war Piers Duttons Auffahrt entlanggefahren, bis die Räder durchgedreht hatten und sie stecken geblieben waren. Das Haus war dunkel, sodass er wusste, dass von dort keine Hilfe zu erwarten war und sie den Rest des Wegs zu Fuß zurücklegen müssten.
    Seine Nichte, die auf dem Rücksitz saß, war ganz still geworden, und ihr Schweigen war noch beunruhigender als ihre Tränen von vorhin. Doch jetzt sagte sie: »Nein«, und ihr Ton war nicht weniger bestimmt als seiner. »Ihr findet es nicht ohne mich. Ich komme mit.« Und schon war sie ausgestiegen und lief durch den Garten, der sich links von der Auffahrt erstreckte. Gemma und Kincaid konnten ihr nur folgen.
    Kincaid wusste, dass sie recht hatte und dass sie ihm nur die Entscheidung abgenommen hatte, ob er ihre Sicherheit aufs Spiel setzen wollte, um Kit zu retten.
    »Lasst die Taschenlampe weg!«, rief Lally ihnen zu. »Die verwirrt euch nur. Bleibt einfach dicht hinter mir.«
    Sie schlüpfte durch ein Tor am Ende des Gartens und tauchte
in ein Dickicht ein, das auf den ersten Blick undurchdringlich schien. Doch als sie hinter ihr zum Tor hinausgingen, konnte Kincaid einen schmalen Trampelpfad erkennen, der in den Wald führte. Einmal hörte er, wie Gemma stolperte und fluchte, doch als er sich umdrehte und ihr aufhelfen wollte, flüsterte sie: »Lass nur, ist nichts passiert. Beeil dich lieber.« Der Pfad schlängelte sich kreuz und quer durch den Wald, doch Kincaids angeborener Orientierungssinn sagte ihm, dass sie in einem leicht schrägen Winkel auf den Kanal zugingen.
    Erneut beschrieb der Pfad eine Kurve, und Lally blieb abrupt stehen. Als Kincaid auf sie auflief, strauchelte sie, fing sich und hob die Hand, um sie zur Stille zu mahnen. Vor ihnen konnte Kincaid einen kleinen Backsteinbau erkennen, doch es war alles dunkel, und nichts bewegte sich.
    Lally atmete hörbar aus und ging langsam weiter, links an dem Schuppen vorbei in Richtung Kanal.
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