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So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

Titel: So sollst du schweigen: Roman (German Edition)
Autoren: Clara Salaman
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Fülle an unwichtigem Kram zu beherbergen schien. Sie zog allerlei Gegenstände heraus und legte alles auf den Tisch vor sich: Armreifen, Kaugummi, mehrere Stifte und vollgekritzelte Zettel. Endlich fand sie, wonach sie suchte: ihre Geldbörse, die sie mit derselben Sorgfalt zu durchforsten begann. Kaum zu glauben, wie jemand dermaßen viel Zeug mit sich herumschleppen konnte. Der Inhalt seiner Taschen beschränkte sich auf einen Zehner und einen Schraubenschlüssel.
    »Das ist er«, erklärte sie mit einem Anflug von Ehrfurcht und zog ein reichlich zerknittertes Foto heraus. Johnny betrachtete es: Es zeigte einen großen, schlanken Mann mit einer Idiotenbrille und einer lächerlichen Fliege, der mit einem Schläger in der Hand unter einer karibischen Palme stand. »Für Clemency«, stand quer über dem unteren Rand. »Alles Liebe, Henry Blofeld.« Johnny fand, dass der Typ wie ein kompletter Schwachkopf aussah. Allerdings hätte er nichts dagegen einzuwenden, wenn sie mit dieser Bewunderung über ihn sprechen würde.
    »Meiner Ansicht nach«, erklärte Clem und sah wieder zum Spiel hinüber, wo Botham gerade einen Sechserschlag gelandet hatte, »hat Botham England im Alleingang vor der ultimativen Blamage bewahrt.«
    Lächelnd stand Johnny auf und klopfte seine Taschen nach Kleingeld für die Jukebox ab. »Ich find’s gut, dass du so klare Ansichten hast.«
    Einen Moment lang schien sie nicht sicher zu sein, ob das als Kritik gemeint war. »Na ja, ich bin aber bereit, sie auch mal zu ändern«, erklärte sie voller Optimismus. Was stimmte. Auf den ersten Blick schien sie stets eine klare Meinung zu vertreten, doch bei genauerem Hinsehen stellte sich heraus, dass ihre Ansichten lediglich Testballons waren, die sie aufsteigen ließ, um herauszufinden, wie es sich anhörte, wenn sie sie zum Besten gab. Manchmal war sie sich nicht einmal sicher, ob sie überhaupt eine eigene Meinung hatte.
    Dass er über sie lachte, war jedenfalls nicht ihre Absicht gewesen. Sie sah ihm nach, als er breit grinsend zur Jukebox schlenderte und sich gegen den Rahmen lehnte, um seine Wahl zu treffen. Er sah so unglaublich gut aus und so vertraut, als wäre es gerade erst eine Woche her, seit sie in Cornwall am Strand gesessen hatten. Ihr wurde bewusst, dass seine Gegenwart exakt dasselbe Gefühl in ihr heraufbeschwor wie damals – eine eigentümliche Lebendigkeit.
    Er entschied sich für einen Song, den sie nicht kannte, kehrte an ihren Tisch zurück und setzte sich wieder neben sie, diesmal jedoch ein kleines Stück näher. Es gefiel ihr, dass er den Text kannte und zwischen zwei Schlucken Bier mitsang. Sie mochte seine Stimme. Ehrlich gesagt, mochte sie alles an ihm. Was auch immer passierte – dieser Song würde sie für den Rest ihres Lebens an ihn erinnern.
    Nach einer Weile stand er abermals auf und ging an die Bar, um noch eine Runde Bier zu holen. Während er wartete, tippte er im Takt von Oblivious von Aztec Camera mit dem Fuß auf den Boden. Inzwischen hatte sie den Song viermal nacheinander gedrückt. Er wünschte, er hätte ihn nie ausgesucht. Als er sich mit den Flaschen in der Hand umwandte, sah er, wie sie schnell den Daumen aus dem Mund nahm. Einen Moment lang machte es ihn verlegen, weil er sie erwischt hatte. Er hatte völlig vergessen, dass sie am Daumen lutschte, doch nun fiel ihm wieder ein, wie sie in Cornwall ständig daran genuckelt und sich mit der anderen Hand gedankenverloren selbst gestreichelt hatte.
    Aber es spielte keine Rolle. Er war sowieso längst hin und weg von ihr.
    Er kehrte an den Tisch zurück, stellte die Getränke ab und nahm das Foto, das immer noch zwischen den feuchten Abdrücken der Bierflaschen lag. »Ich bin letztes Jahr hingesegelt«, erklärte er beiläufig und ließ das Foto wieder fallen. Tja, dann zeig mal, was du so draufhast, Blofeld.
    »Wohin denn?«, fragte sie und wandte sich ihm zu. Und mit einem Mal galt ihre Bewunderung nun doch ihm.
    »In die Karibik. Nach Barbados.«
    »Nein! Ganz allein?«
    »Wir waren zu zweit. Bloß ich und der Skipper.«
    Ihre Augen weiteten sich. Sie starrte ihn an und dachte an den Johnny mit vierzehn zurück, mit all seinen Träumen. Und nun lebte er sie. Kein Mensch setzte später um, was er mit vierzehn prophezeite. Aber Johnny war quer über den Atlantik gesegelt. Er redete nicht nur so daher. Er war alles, was sie sich erhofft hatte. Und noch ein bisschen mehr.
    »Und wie war das so? Ganz allein so weit zu segeln, meine ich? Quer übers Meer? War
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