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So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

Titel: So sollst du schweigen: Roman (German Edition)
Autoren: Clara Salaman
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es der reinste Wahnsinn? Ist es das Paradies?«
    Johnny nahm einen kleinen Schluck aus seiner Bierflasche. Ihr Enthusiasmus erschlug ihn beinahe. Damit konnte Blofeld endgültig einpacken.
    »Es war was ganz Besonderes«, sagte er. Und das war es auch. Nach Wochen auf dem Atlantik endlich Barbados am Horizont auftauchen zu sehen, war wie das reinste Wunder gewesen. Er hatte während der langen Überfahrt ein bisschen von seinem Verstand eingebüßt, aber das würde er ihr natürlich nicht auf die Nase binden.
    Die Überfahrt hatte sechs Wochen gedauert. Sie hatten fast keinen Wind gehabt, und die Isolation hatte ihm gehörig zugesetzt. Irgendwann war er zu der Überzeugung gelangt, dass aus irgendeinem Grund – als Folge einer atomaren Katastrophe oder einer Kollision mit einem Kometen – jegliches Leben auf dem Planeten Erde ausgelöscht worden war. Seine apokalyptische Phantasie hatte ihn so sehr im Würgegriff gehabt, dass er geschworen hätte, sein Boot sei als Einziges auf der ganzen Welt verschont geblieben, und nun, da er all seine Freunde und seine Familie tot glaubte, war ihm zum ersten Mal mit erschreckender Klarheit bewusst geworden, wie sehr er sie liebte. Natürlich ahnte Clem nichts davon, doch auch sie war ihm in den Sinn gekommen, als Beispiel dafür, wie leichtfertig man Gelegenheiten verstreichen ließ und dass man das Leben gefälligst beim Schopf packen musste. Er hatte Land gerochen, noch bevor es in Sichtweite gekommen war. Er hätte nie gedacht, dass von einem Landstrich ein so intensiver Geruch ausgehen könnte – satt, erdig und reich. Der Planet Erde riecht nach Erde. Er war an Deck getreten, hatte den Blick über die üppige Vegetation und das türkisfarbene Meer schweifen lassen, in der verzweifelten Hoffnung, irgendwo einen Hinweis auf menschliches Leben auszumachen. Schließlich hatte er ihn gefunden. Er hatte durch sein Fernglas geblickt, hatte die Boote und Strandbars gesehen, die winzigen Flugzeuge am Himmel, bei deren Anblick ihn ein überwältigendes Glücksgefühl und eine Woge der Liebe für die Menschheit überkommen hatten. Barbados war tatsächlich das Synonym für das Paradies gewesen, wenn auch aus anderen Gründen, als sie vermutete.
    »Es ist das Paradies«, erklärte er. »In ein paar Monaten fahre ich wieder hin.«
    Sie spürte, wie ihre Begeisterung ein klein wenig schwand, obwohl ihr bewusst war, wie unlogisch es war. Sie hatte ihn seit Jahren nicht gesehen, dennoch beschwor die Vorstellung, dass er bald wieder fort wäre, eine trostlose Leere in ihr herauf. »Darf ich mitkommen?«, fragte sie, doch er lachte nur, und sie kam sich blöd vor. Sie hatte sich von ihren Gefühlen mitreißen lassen. Sie musste vorsichtig sein, immer schön einen Schritt nach dem anderen machen. Er war ein Abenteurer, und Abenteurer zogen nun mal los, um Abenteuer zu erleben. Deshalb würde sie sich zu ihren eigenen Abenteuern aufmachen müssen. Und sie würde ebenso tapfer und furchtlos sein wie er.
    »Vielleicht können wir uns ja irgendwo treffen. Ich fahre nämlich auch weg.« Sie schenkte ihr Bier ein und sah zu, wie sich eine dicke Schaumkrone im Glas bildete. »Ich muss die Welt sehen, Johnny. Ich habe keine Lust, hier bei meiner Mutter zu versauern.«
    Mit einem Mal hatte er das dringende Bedürfnis, sich vorzubeugen und sie zu küssen. Ihm war nicht entgangen, dass ihr die Gesichtszüge entglitten waren, als er gesagt hatte, dass er bald wieder aufbrechen würde. Ihr Gesicht war wie ein offenes Buch für ihn. Zum allerersten Mal in seinem Leben dämmerte ihm, dass es auch noch etwas anderes auf der Welt geben könnte als Segeln.
    »Ich sag dir etwas, Clem. Pfeif auf die Überführung. Lass uns zusammen wegfahren.« Er würde alles tun oder sagen, nur um diesen Ausdruck in ihren Augen noch einmal zu sehen. »Nach der Hochzeit, natürlich.«
    Sie lachte und schien nicht sicher zu sein, welcher Teil seines Vorschlags als Scherz gemeint war. Doch das war egal. Mit ihm hier zu sitzen und Pläne zu schmieden, ganz gleich, ob sie sie umsetzen oder ob sie Phantasie bleiben würden, beschwor ein beinahe schmerzhaftes Glücksgefühl in ihr herauf.
    »Und wo willst du hinfahren?«, fragte er sie und stieß ein weiteres Mal mit ihr an. Seine Finger berührten die ihren, und sein Blick verschlang sie förmlich.
    »Lass uns nach Osten fahren.«
    Alles an ihr machte ihn an: dass sie sich unübersehbar wohl in ihrer Haut fühlte; wie sich ihre Ober- und Unterlippe berührten; das verschmitzte
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