Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

Titel: So sollst du schweigen: Roman (German Edition)
Autoren: Clara Salaman
Vom Netzwerk:
während ihr die Tropfen über die Wangen kullerten.
    »Glaubst du, da draußen gibt es Ungeheuer?«, fragte sie und spähte mit zusammengekniffenen Augen zum Horizont.
    »Ja«, antwortete er. »Wieso auch nicht?«
    Das gefiel ihr. Sie glaubte fest daran, dass es Ungeheuer gab. Sie glaubte an so ziemlich alles.
    »Der rote Punkt dort könnte ein Auge sein«, sagte sie und zeigte auf einen Punkt in der Ferne.
    »Oder ein Fischerboot.«
    »Da ist ein grünes!«
    »Das ist ein und dasselbe. Sie wendet.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Das rote Licht ist auf der linken Seite des Boots, also backbord, und das grüne steuerbord, also auf der rechten Seite. Jetzt ist es weiß, das ist das Heck. Sie fährt hinaus. Nach Westen.«
    »Und wohin?«
    »Zum Fischen.«
    »Das weiß ich auch. Ich habe gemeint, wo genau das Boot landen würde, wenn es immer weiterfahren würde.«
    »In Amerika, schätze ich. Nein, sogar Kanada.«
    »Wow.« Sie nuckelte an einer nassen Haarsträhne. »Warst du schon mal in Amerika?«
    »Nein, bisher nicht. Aber eines Tages werde ich hinübersegeln.« Es gefiel ihm, wenn sie ihn so ansah, gewissermaßen ihr helles Licht auf ihn warf. Er wünschte, sie würde nicht wieder wegsehen.
    »Ehrlich?«
    »Klar. Ich baue mein eigenes Boot, ein Einrumpfboot, eine Ketsch – natürlich aus Holz, mit Decks aus Teakholz, doppelendig. Sie wird das schönste Boot auf dem ganzen Ozean sein. Und dann segle ich auf ihr um die ganze Welt, ganz allein.« Er musste ein bisschen angeben. Aber es war die Wahrheit, denn er würde es tun, das stand außer Frage.
    Sie starrte ihn an, während sie wieder dieses komische Gefühl überkam, so wie vorhin, als sich etwas in ihrem Inneren verändert hatte. Was auch immer es gewesen sein mochte, es hatte eindeutig etwas mit ihm zu tun. Es war, als würde er sie in- und auswendig kennen, als bestünde eine tiefe Verbindung zwischen ihnen. Er war in jeder Hinsicht so, wie sie gern sein wollte – einer, der die Dinge in die Hand nahm, ein Abenteurer. »Darf ich mitkommen, Johnny? Darf ich mit dir um die Welt segeln?«
    Er lachte. »Aber dann wäre es ja keine Alleinumsegelung mehr.«
    »Ist doch egal. Dann ist es eben eine Zweierumsegelung.«
    Lächelnd zog er seinen Tabak aus der Tasche. »Na ja, mal sehen.«
    »Los, dreh uns eine«, sagte sie, völlig aus dem Häuschen, weil sie eine Art Arrangement getroffen hatten. »Eine dicke, so wie die, die ihr heute Nachmittag in den Dünen geraucht habt.«
    »Rauchst du?«, fragte er. Es gefiel ihm, dass sie ihn beobachtet hatte.
    »Nein, noch nicht. Wieso hast du ›sie‹ gesagt, Johnny?«
    Er wandte sich ihr zu, mit dem Rücken zum Wind, damit der Tabak nicht weggeweht wurde. »Wegen der Form. Boote sind kurvig und elegant. Wie Frauen.«
    »Oh!«, sagte sie. »Bin ich auch kurvig und elegant?«
    »Na ja, du bist erst elf.«
    »Stimmt«, gab sie ärgerlich zurück. Elf war ein beschissenes Alter, weil man weder das eine noch das andere war. »Und dreiviertel.«
    »Das ändert natürlich alles.«
    »Ich hab einen Freund«, fuhr sie fort, als würde sie das noch ein bisschen älter machen.
    »Echt?«
    »Ja. Roger Benson. Wir haben auch schon geknutscht. Mit Zunge und allem.«
    Johnny stieß einen Pfiff aus. »Cooler Typ, dein Roger.«
    Eine Hand um die Schachtel gelegt, riss er ein Streichholz an. Die kleine Flamme blendete ihn für einen kurzen Moment. Er spürte ihren Blick. Es gefiel ihm. Er zog an der Zigarette, dann stieß er den Rauch aus und reichte sie ihr. Ihre Finger waren klamm vor Nässe, sodass sie daran kleben blieb. Er schob sie ihr zwischen die Lippen, als sie sich zögernd vorbeugte. Ihre Lippen fühlten sich ganz weich an seinen Fingerspitzen an.
    Sie hustete und spuckte einen Tabakkrümel aus. »Igitt!« »Am Anfang ist es echt eklig, aber man gewöhnt sich dran.«
    »Echt? Ach, das werde ich schon.« Sie war fest entschlossen, es richtig zu machen.
    Er drückte ihr die Zigarette abermals zwischen die Lippen. Diesmal schaffte sie es, nicht zu husten, aber er sah ihr an, dass es ihr nicht schmeckte.
    »Braves Mädchen«, lobte er. Sie lächelte stolz. Erst jetzt bemerkte er, dass ihre Vorderzähne leicht übereinander standen. Das konnte einen Jungen ganz schön verrückt machen, dachte er.
    »Johnny? Hast du eine Freundin?«
    Er ließ sich nach hinten sinken, stützte sich auf den Ellbogen ab und blickte zu dem Fischerboot hinaus. »Nicht so richtig.«
    »Was heißt das?«
    »Es heißt nicht so richtig .«
    Sie drehte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher