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So schwer, sich leicht zu fuehlen

So schwer, sich leicht zu fuehlen

Titel: So schwer, sich leicht zu fuehlen
Autoren: Deborah Rosenkranz
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Gesangsunterricht und war stolz darauf, die Tochter meines Vaters zu sein.
    Doch ich merkte auch, dass ich mich aufgrund meines gestörten Essverhaltens mehr und mehr zurückzog. Ich war es leid, Sonntag für Sonntag Ausreden finden zu müssen, wieso ich kein St ück Kuchen wollte oder weshalb ich beim gemeinsamen Mittagessen nicht dabei sein konnte. Ich hätte es nicht ertragen, jedem erklären zu müssen, wieso ich meinen Salat ohne Dressing esse oder warum ich auf einmal den Kaffee schwarz trinke. Oh, wie hatte ich immer Latte Macchiato geliebt! Doch Milch war nun tabu, viel zu viele Kalorien.
    So drückte ich mich immer öfter um den Kirchenbesuch. Vielleicht machte ich das aber auch, weil ich tief in mir immer wusste, dass es nicht richtig ist, was ich da tue. Eigentlich hatte ich Gott immer als meinen guten Freund und Vater betrachtet, mit dem ich über alles reden konnte und der mir half. Auch das änderte sich, und ich sprach immer seltener mit ihm. Dann redete ich mir ein, dass Gott schließlich keine Ahnung davon haben konnte, wie es war, dick zu sein, und mit Kalorienzählen hatte er sicher auch nichts am Hut. Warum ihn also damit belästigen?
    Auch im Handball wurde ich immer wieder darauf angesprochen, wie viel Gewicht ich verloren hatte und ob ich krank sei. Mein Trainer holte mich sogar aus der Damenmannschaft wieder raus, bei der ich aufgrund meiner guten Leistungen als Teenager schon hatte mitspielen dürfen, weil er das nicht mehr verantworten konnte. „Wir haben Angst, dass du dich verletzt. Du bist zu dünn für diese Sportart! Ein Rempler, und du liegst am Boden.“
    Das war für mich wirklich schrecklich. Man muss sich vorstellen, was für eine große Auszeichnung es war, wenn ein Mädchen schon bei den Damen mitspielen durfte. Nun wurde mir das wieder genommen.
    Ein einziges Mal rief der Trainer doch noch mal bei mir an. Es waren einige Spielerinnen ausgefallen, und sie brauchten mich ganz dringend. Ich war an dem Tag aber extrem schwach; kein Wunder, wann hatte ich auch das letzte Mal etwas Anständiges gegessen? So „genehmigte“ ich es mir also zur Feier des Tages tatsächlich, vier Pommes und etwas Magerquark zu essen!
    Diesen Moment werde ich nie vergessen: Ich biss ganz vorsichtig in die fettige Pommes, und in mir brach ein Chaos aus. Einerseits hatte ich schon so lange mal wieder so etwas essen wollen, andererseits hatte ich furchtbare Panik vor all den Kalorien und dem, was sie mit meinem Körper anrichten würden. Ganz klar, dass ich beim Spiel am Nachmittag noch mehr Gas geben würde, um das wieder abzutrainieren!
    Doch schon nach dem Essen hatte ich schreckliche Bauchschmerzen. Mein Körper war es nicht mehr gewohnt, so viel (!) Nahrung zu bekommen. Als ich in der Halle ankam, sah ich dem Trainer an, dass er es schon bereute, mich überhaupt angerufen zu haben. Ich war wirklich nur noch Haut und Knochen. Außerdem konnte ich mich während des Spiels nicht richtig konzentrieren, weil mich wegen der Pommes so ein schlechtes Gewissen plagte. Ich konnte sie förmlich in mir spüren. Dieses ständige Ziehen in der Seite, das nichts mit Seitenstechen zu tun hatte, war unerträglich. Ich bekam diese Schmerzen nun regelmäßig, wenn ich etwas mehr gegessen hatte als meine gewöhnliche Tagesration, also fast nichts.
    Das sollte dann tatsächlich das allerletzte Spiel gewesen sein, zu dem man mich gerufen hatte. Mich störte das aber auch nicht wirklich, da es für mich nichts Wichtigeres mehr gab, als weiter abzunehmen.
Wahnsinn mit Methode
    Es tat mir gut, wenn Leute bei meinem Anblick erschraken. Das war für mich der Beweis dafür, dass ich auf dem richtigen Weg war. Man „sah“ mich wegen meinem Äußeren!
    Dann musste ich die Schule wechseln, was mir nicht leicht fiel. Die Schulleitung hatte mir und meinen besten Freundinnen, Zwillingsschwestern, empfohlen, die Schule zu wechseln, da sie unsere Klasse nicht mehr in den Griff bekamen. Im Unterricht wurde gekifft, ständig fehlten Schüler, und keiner respektierte den anderen.
    Meine beiden Freundinnen und ich waren die Streberinnen in der neuen Klasse, aber dennoch ließ man uns in Ruhe. Sie hatten es eher auf die „Dicke“ in der Klasse abgesehen, mit der ich unendlich viel Mitleid hatte. Sie kam aus einem reichen Elternhaus, doch das nützte ihr nichts. Um eine von ihnen zu werden, musste sie eine Mutprobe
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