Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0544 - Der Bleiche

0544 - Der Bleiche

Titel: 0544 - Der Bleiche
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
»Dieses Weib liebt tatsächlich einen Toten!«
    Eigentlich hätte ich den Mann, der mir dies sagte, auslachen oder für verrückt halten müssen, aber wer lacht schon über einen Kollegen, der zudem noch Chiefinspektor ist und Tanner heißt?
    Außerdem waren er und sein alter Filzhut in London eine Institution.
    »Sie liebt einen Toten?« stellte ich noch einmal richtig.
    »Ja.« Tanner nickte. Selbst in meinem Büro hatte er den Hut nicht abgenommen.
    »Und das weißt du genau?«
    »Sicher.«
    »Woher denn?«
    Tanner beugte sich vor. Er enthielt sich einer Antwort, weil Glenda kam und frischen Kaffee brachte. Suko folgte ihr auf dem Fuß und balancierte seine Teetasse selbst.
    »Danke, Mädchen«, sagte Tanner und grinste sie an. »Ich werde dich noch mal abwerben. Bei uns kannst du für eine ganze Mannschaft kochen und sie auf Schwung bringen. Die beiden Bäckerburschen hier werden viel zu sehr verwöhnt.«
    »Ich werde es mir überlegen.«
    »Aber nicht zu lange, sonst bin ich pensioniert.«
    Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. »Als ob man dich, Tanner, aufs Altenteil schieben würde. Das kann sich niemand leisten.« Ich nahm einen Schluck und fand den Kaffee wieder hervorragend. »Aber kommen wir wieder zur Sache. Wie war das?«
    Da Suko gekommen war, sagte Tanner seinen Spruch von vorn auf und erklärte uns auch, woher er das wußte. »Eine Bekannte von uns wohnt in dem Haus gegenüber und kann in das Fenster dieser Kyra Benson schauen…«
    »Das ist die Person, die einen Toten liebt?«
    »Richtig.«
    »Und was hat deine Bekannte gesehen?«
    »Daß der Kerl zurückgekehrt ist. Ihr Mann, meine ich. Vor ungefähr drei Monaten starb er.«
    »Woran?«
    »Keine Ahnung. Zwar gibt es Gerüchte, die von einem Selbstmord sprechen, aber nagelt mich bitte nicht fest!« Auch Tanner trank. Ihm fielen unsere skeptischen Blicke auf. »Ich weiß, daß ich mit meiner Theorie auf schwankendem Boden stehe, aber ich hielt es nun mal für meine Pflicht, euch zu informieren. Außerdem habe ich die berühmten Pferde schon kotzen sehen, wenn ihr versteht. Wir drei haben schon ziemlich viel mitgemacht und wissen, daß es zwischen Himmel und Erde mehr Dinge gibt, als sich ein alter Polizist vorstellen kann. Offiziell bin ich bei euch nicht gewesen. Ich habe Feierabend, das ist ein privater Besuch. Die Nachtschicht liegt hinter mir. Ich mußte meiner Frau versprechen, etwas zu tun.«
    »Das hast du nun!« sagte Suko.
    Tanner schüttelte den Kopf, ohne daß der Hut wegrutschte.
    »Noch nicht ganz, Herr Inspektor.« Aus der Tasche seines abgewetzten Jacketts holte er einen Zettel hervor. »Ich habe euch die Adresse aufgeschrieben. Da müßt ihr hin.«
    Suko faltete den Zettel auseinander. »Crinan Street«, murmelte er und schaute mich an. »Kennst du die?«
    »Nein.«
    Tanner runzelte die Stirn. »Da sieht man wieder, wie wenig ihr euch in London zurechtfindet. Keiner von euch würde die Prüfung für Taxifahrer bestehen.«
    »Wo ist es denn nun?«
    »Oben in Kings Cross. Nicht weit vom Regents Canal entfernt. Nahe der Caledonian Road.«
    »Und bestimmt nicht weit vom Bahnhof weg – oder?«
    »Richtig.«
    »Die beste Gegend ist das nicht.«
    »Weiß ich selbst. Aber die Leute können nicht nur in Mayfair oder South Kensington wohnen.«
    »Gut«, sagte ich. »Wenn wir also aus alter Freundschaft hinfahren, was sollen wir dann tun?«
    »Einen Feldstecher mitnehmen.«
    »Voyeure spielen?« fragte Suko.
    »Genau. Ihr könnt in die Wohnung der Kyra Benson linsen und sehen, wie sie sich dort mit einem Toten trifft.« Tanner hob die Schultern. »Vielleicht ist der Mann auch gar nicht tot, wenn er sie jeden Tag besucht.«
    »Dann allerdings wäre das kein Fall für uns, sondern möglicherweise für eine Versicherung.«
    »Stimmt auch wieder.«
    »Tanner, du alter Feuerfresser, was ist los?«
    »Ich weiß es selbst nicht«, flüsterte der Mann. »Ich bin mir nicht sicher. Ich nehme auch an, daß diese Benson die halbe Nachbarschaft leimt, aber die Bekannte meiner Frau, sie heißt Ella Freeland, ist ganz anderer Ansicht.«
    »Dafür müßte sie einen Grund haben.«
    »Das kannst du wohl annehmen, John. Sie sagt, daß der Tote, wenn er bei ihr gewesen ist, nie das Haus verläßt.«
    »Versteckt sie ihn?« fragte Suko.
    »Viel schlimmer. Er ist plötzlich nicht mehr da. Ella meint, daß er sich in Nebelstreifen auflöst. Außerdem soll er ziemlich bleich sein, als hätte er schon Jahre das Jenseits durchwandert.« Tanner mußte lachen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher