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Mauern aus Holz, Maenner aus Eisen

Mauern aus Holz, Maenner aus Eisen

Titel: Mauern aus Holz, Maenner aus Eisen
Autoren: Alexander Kent
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Die Pflicht ruft
    Kapitän Daniel Poland, Kommandant Seiner Britannischen Majestät Fregatte
Truculent
, streckte die Arme und unterdrückte ein Gähnen, während sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Als er die Reling des Achterdecks umklammerte und die schemenhaften Figuren ringsum Identität und Rang annahmen, fühlte er Stolz auf sein Kommando. Er hatte diese Männer zu einer Besatzung geformt, die seine Wünsche und Befehle befolgte, ohne sich noch viel verbessern zu müssen. Vor zwei Jahren hatte er das Kommando übernommen, aber seinen vollen Kapitänsrang würde er erst in sechs Monaten erhalten. Erst dann würde seine Laufbahn sicher sein vor Rückschlägen. Mißgunst, ein unseliger Fehler oder ein Mißverständnis – alles konnte ihn wieder nach unten oder ganz aus dem Dienst in der Kriegsmarine befördern. Aber wenn er erst einmal Vollkapitän war, mit den beiden Epauletten auf den Schultern, konnte ihn nur noch wenig aus der Bahn werfen. Er lächelte kurz. Nur der Tod oder eine schreckliche Verwundung würden das schaffen, denn das Eisen des Feindes nahm keine Rücksicht auf die Hoffnung und den Ehrgeiz seiner Opfer.
    Poland trat an den kleinen Tisch am Niedergang und hob die geteerte Segeltuchhaube, um im Licht einer abgeblendeten Lampe das Logbuch zu prüfen. Niemand auf dem Achterdeck sprach oder störte ihn; jedermann wußte, daß er da war, und kannte nach zwei Jahren seine Gewohnheiten.
    Während er die sauber geschriebenen Kommentare seiner Wachoffiziere las, spürte er, wie sich das Schiff unter ihm hob und senkte; Schaum peitschte wie Hagel über das Deck. Wieder fühlte er Stolz, mahnte sich aber zur Vorsicht. Wer sich auf andere verließ, konnte schnell Mißtrauen ernten, und Mißtrauen bei Vorgesetzten gefährdete Beförderungen. Trotzdem – wenn der Wind durchstand, würden sie die afrikanische Küste, das Kap der Guten Hoffnung, beim ersten Tageslicht sichten.
    Seit neunzehn Tagen unterwegs. Das war wahrscheinlich die schnellste Überfahrt, die je ein britisches Kriegsschiff von Portsmouth gemacht hatte. Poland dachte zurück an England, das sie in einem Regenschauer achteraus hatten versinken sehen, als die
Truculent
sich in den offenen Kanal schob: kalt, naß, Lebensmittelmangel und Preßkommandos.
    Sein Blick blieb am Datum hängen: 1. Februar 1806. Das war vielleicht die Erklärung. Die Nachricht vom Sieg bei Kap Trafalgar war vor weniger als vier Monaten ins Land geplatzt. Seither sah es so aus, als habe Nelsons Tod die Menschen betäubt. Sogar auf seinem eigenen Schiff hatte es Poland gespürt: Der Kampfgeist seiner Offiziere und Mannschaftsgrade schien stumpfer geworden zu sein. Dabei war die
Truculent
zur Zeit der großen Schlacht nicht einmal im selben Ozean gewesen, und seines Wissens nach hatte keiner seiner Leute je den kleinen Admiral gesehen. Dieser Umstand ärgerte ihn, und er verfluchte sein Schicksal, das sein Schiff so weit weg geführt hatte von einem Kampf, in dem er Ruhm und Lohn hätte ernten können. Typisch für Poland war, daß er dabei den furchtbaren Zoll an Toten und Verwundeten nicht bedachte, den die denkwürdigen Tage von Trafalgar gefordert hatten.
    Er schaute nach oben in den hellen Umriß des vollstehenden Kreuzmarssegels. Dahinter gab es nur Dunkelheit. Das Schiff hatte seine schwere Leinwand gegen die Leichtwettersegel der Passatzone ausgewechselt und würde sehr gut aussehen, wenn das Tageslicht kam. Er erinnerte sich an ihre schnelle Fahrt nach Süden: die Berge Marokkos diesig blau in der Ferne, dann weiter südöstlich über den Äquator. Ein einziger Stopp nur bei St. Helena, diesem winzigen Fleck auf der Karte.
    Kein Wunder, daß junge Offiziere darum beteten, ein Kommando über eine Fregatte zu erhalten. Auf ihr war man sein eigener Herr, hing nicht an den Schürzenzipfeln der Flotte und war ziemlich sicher vor den Eingriffen der Admiralität.
    Er wußte, daß ein Kommandant bei seinen Leuten gleich nach Gott kam. Meistens schien er auch wirklich allmächtig, denn er konnte jeden an Bord strafen oder belohnen – ohne selbst mit Strafe rechnen zu müssen. Poland hielt sich für einen gerechten und fairen Kommandanten, aber er wußte, daß man ihn eher fürchtete als verehrte. Jeden Tag hatte er dafür gesorgt, daß es seinen Männern nicht an Arbeit mangelte. Der Vizeadmiral würde nichts an seinem Schiff auszusetzen haben, weder an seinem Aussehen noch an der Besatzung.
    Sein Blick fiel auf das Skylight der Kajüte, es leuchtete jetzt
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