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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt
Autoren: Diana Menschig
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verloren.
    »Du willst mich, Greta, nicht wahr? Du willst mich braten sehen. Also gut. Ich steige in die Esse.«
    Greta hielt inne. Dann trat sie einen langsamen Schritt zur Seite und machte den Weg für Merle frei.
    »Merle! Tu das nicht!«, rief Jakob. Seine Stimme überschlug sich vor Panik. Merle wedelte mit der Hand mit den gekreuzten Fingern hinter ihrem Rücken.
    Langsam, Greta dabei nicht aus den Augen lassend, näherte sie sich dem Feuer. Es brannte hell und weiß, doch die Flammen hatten sich etwas zurückgezogen, und es war nicht so heiß, wie Merle erwartet hatte. Leichtfüßig sprang sie auf den gemauerten Rand des Feuerbeckens und blieb dort hocken.
    »Na los, Greta! Schubs mich! Hast du gedacht, ich springe freiwillig?« Merle lächelte triumphierend. Jetzt war genau die Situation eingetreten, auf die sie gehofft hatte: Greta hatte ihr die Art von Tod gewünscht, dem sie selbst vor vielen Jahrhunderten so knapp entgangen war. Doch nun musste sie ihre Furcht vor dem Feuer überwinden, um sich Merle zu nähern und ihr den letzten Stoß zu geben.
    Greta schien zu der gleichen Erkenntnis gekommen sein. Ihr groteskes knöchernes Mädchengesicht verzog sich zu einer wütenden Fratze, die Merle an eine mittelalterliche Karnevalsmaske denken ließ. Sie blieb scheinbar ruhig sitzen und wartete angespannt auf den Moment, in dem sie wegspringen musste. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Jakob den dritten Apfel in der Hand hielt und sich hinter Greta von ihr unbemerkt näherte.
    Gretas Wut, das Verlangen, an Merle heranzugelangen, wurde offensichtlich größer als ihre Angst. Sie näherte sich einen Schritt. Und noch einen weiteren.
    Einen noch, entschied Merle, dann musste sie wegspringen. Sie fühlte sich plötzlich wie gelähmt. Mit einer ungeheuren Anstrengung öffnete sie die Finger, und der Apfel fiel aus ihrer Hand ins Feuer. Eine weitere Stichflamme raste empor in den Kamin und ließ Greta zurückzucken. Flammen leckten wie feurige Hände aus der Esse. Merle konnte sich nicht rühren. Sie empfand plötzlich nichts mehr. So also würde ihre Familiengeschichte enden.
    Kurz glaubte sie, einen Schemen zu erkennen, ein kleiner Junge, die Arme erhoben.
    Hans stieß Greta ins Feuer.
    Der dritte Apfel sauste an ihr vorbei und fiel in die Esse. Die Feuerhände wuchsen, tanzten, griffen nach Greta und zogen sie tiefer. Gleichzeitig erhob sich ein ohrenbetäubendes Brausen. Ein Rumpeln setzte ein, und mit einem dumpfen Ploppen, als hätte jemand eine überdimensionale Sektflasche geöffnet, regnete eine Ladung Ziegel und Strohbündel aus dem Kamin. Ein heißer Windstoß folgte und stob durch den Raum. Grüngelbe Funken stoben zu allen Seiten, und weiße Flammen umschlangen Greta. Sie richtete einen letzten rotglühenden triumphierenden Blick auf Merle.
    Die Hitze wurde unerträglich. Unendlich heiß und dennoch verlockend. Merle zögerte. Es reizte sie, sich in das Höllenfeuer zu stürzen. Doch es war, als hielte jemand sie im Nacken fest und hinderte sie daran. Vergeblich versuchte sie, sich dem Griff zu entwinden.
    Vor ihr erstarrte Greta, inzwischen völlig von den tosenden Flammen umhüllt. Rotglühende Nebelwolken stoben aus dem Kamin. Es stank nach verbranntem Fleisch.
    Im nächsten Moment wurde Merle weggerissen und fand sich neben Jakob wieder, der sie fest, beinahe brutal umklammerte. Er zog sie in die Mitte des Raumes und presste sie gegen das uralte Holz, während um sie herum ein Inferno aus stürzenden Möbelstücken, herumfliegendem Papier und kleinen Gegenständen ausbrach. Hinzu mischte sich das Brüllen des Windes mit Gretas Todesschrei.
    »Halt dich fest!«, schrie Jakob.
    Merle hielt den Atem an und kniff die Augen zusammen. Seine Finger krallten sich in ihre Oberarme. Die heiße Luft und der Staub brannten auf der Haut wie bei einem Wüstensturm.
    Nur wenige Sekunden später war der Spuk vorüber. Die Stube sah wieder so aus, wie Merle sie kannte: altertümlich, aber mit den Spuren des einundzwanzigsten Jahrhunderts.
    Jakob fasste sich als Erster. Seine dunkel umschatteten Augen standen in hartem Kontrast zu seiner Leichenblässe, was ihn selbst wie einen Geist erscheinen ließ. Merle ließ seinen prüfenden Blich über sich ergehen, bevor er ihre Finger behutsam öffnete und einen nach dem anderen aus der Umklammerung des Balkens löste. Dann schloss er sie wortlos in die Arme und drückte sie lange an sich. Sie lehnte sich mit einem stummen Dank an ihn.
    »Du wolltest doch in die Esse
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