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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt
Autoren: Diana Menschig
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Sonne schien, und über ihr zwitscherten die Vögel in den Baumwipfeln. Langes Gras und Unkraut wiegten sich in dem verwilderten Garten sanft im Wind. An den Bäumen schaukelten die roten Äpfel, die ihr Vater bald für Oma Mago ernten würde. Vielleicht, so dachte Ronja, würde sie dieses Mal dabei helfen dürfen. Sie fand, dass sie jetzt alt genug dazu war. Nächstes Jahr würde sie endlich wie Amelie in die Schule gehen.
    »Amelie!« Lukes lautes Rufen riss Ronja aus ihren Gedanken, und sie sah sich um. Luke hatte mittlerweile den hinteren Teil des Zaunes erreicht und kletterte gerade darüber; von Amelie fehlte jede Spur.
    Ronja erhob sich, um ihm zu folgen, doch sie kam nicht weit. Luzi lief ihr zwischen die Beine, so dass Ronja zur Seite springen musste, wenn sie nicht der Länge nach hinschlagen wollte. Sie taumelte, und als sie sich schließlich fing und einen Schritt nach vorne machte, stand die Katze schon wieder im Weg. Ronja blinzelte Luzi entrüstet an. »Was hast du? Hat Oma Mago dir nichts zu fressen gegeben? Ich habe nichts, ehrlich!« Sie klemmte Mikesch in die Armbeuge, um ihre leeren Hände zu zeigen.
    Noch einmal hüpfte sie um Luzi herum, doch egal, was sie versuchte, immer wieder saß die Katze wie ein mahnender Schatten vor ihr und starrte sie durchdringend an. »Du bist heute wirklich komisch«, verkündete Ronja ihr.
    Luzi maunzte leise.
    Ronja beschloss, die Katze zu ignorieren. »Luke? Wo bist du? Amelie?« Energisch schob sie das Tier beiseite und erreichte endlich den Zaun. Sie warf Mikesch hinüber, zog sich mit beiden Händen zwischen den Latten hoch und kletterte in den Verbotenen Garten.
    Mit einem eleganten Satz sprang Luzi ihr hinterher, hockte sich auf einen der Zaunpfosten und sah ihr nach. Ronja erwiderte den Blick der grünen Augen, und kurz fragte sie sich, ob es nicht doch besser wäre, umzukehren. Die Katze schien sie
vorwurfsvoll
zu mustern. Luzi würde sie doch nicht verpetzen?
    Ronja kaute unentschlossen auf ihrer Unterlippe. Manchmal hatte Oma Mago so getan, als könne sie mit den Tieren sprechen. Aber sie hatte
nur so getan,
oder etwa nicht? Ronja war sich überhaupt nicht mehr sicher.
    Omi Mago schien ihre Augen immer überall gehabt zu haben …
    Und jetzt kam sie nicht. Ronja fröstelte und fühlte sich auf einmal sehr allein. Sie sammelte ihren Stoffkater ein, drückte ihn an sich und sah sich um. Von ihren Freunden fand sie noch immer keine Spur.
    »Amelie? Luke!«
    Wo waren die beiden bloß? Geschehen sein konnte ihnen nichts, das war ja klar. Der Verbotene Garten war völlig harmlos.
    Es war ganz still. Nur manchmal war da dieser leise Klageton, wie von einem jammernden Kätzchen. Nicht weiter bedrohlich. Und auch sonst entdeckte Ronja hier nichts, was sie nicht auch von jenseits des Zaunes hatte sehen können: Gras und ein Baum. Ein sehr großer und mächtiger und alter und knorriger Baum.
    Ehrfürchtig trat sie näher und berührte die Furchen am Stamm. Manche waren so tief, dass sie ihren ganzen Finger hineinstecken konnte. Die Rinde fühlte sich warm und freundlich an. Aber warum war der Baum denn eingezäunt, so dass niemand herankonnte?
    »Ihr seid doof! Wo seid ihr denn?«
    Sie wollte sich gerade wieder abwenden und zurückstapfen, als über ihr ein mörderischer Schrei einsetzte. Entsetzt starrte sie nach oben in die Baumkrone. Dann krachte es, kleine Äste brachen und regneten auf sie herab. Der Schrei ging in das Kreischen eines Kindes über, und im nächsten Moment plumpste Luke wie Fallobst vor ihr ins Gras. Als Ronja anfing zu lachen, rappelte er sich wütend auf. »Blöder Baum!«
    »Du bist zu blöd zum Klettern, da kann der Baum nichts für!«
    »Ich hab mich geratscht, guck mal!« Er hielt ihr seinen Unterarm vor das Gesicht und wies auf eine blassrote Schramme.
    Ronja schaute ganz genau hin und sah tatsächlich ein oder zwei Tropfen Blut hervorsickern. Typisch Luke, stellte sich wegen so einem Kratzer an. Dabei bekam er vermutlich zu Hause noch viel mehr Ärger, weil er sein T-Shirt zerrissen hatte. Aber davon erzählte ihm Ronja nichts. Das würde er noch früh genug merken.
    »Der Baum hat mich abgeschüttelt.«
    Aus den Augenwinkeln sah Ronja Luzi vom Zaun springen und mit weiten Sprüngen Richtung Haus jagen, als wäre eine Hundemeute hinter ihr her.
    Verwundert kniff Ronja die Augen zusammen und schob Lukes Arm zur Seite. Hatte sich da gerade wirklich etwas bewegt? »Was hast du?«, fragte der Junge und fuhr herum.
    »Da ist jemand.« Ronja
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