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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt
Autoren: Diana Menschig
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nickte in Richtung des Baumes zu einem Mädchen. Es trug ein weißes Kleid und lag drei oder vier Schritte von ihnen entfernt unter den ausladenden Ästen des Baumes.
    »Sie sieht aus wie Cinderella«, murmelte Ronja ehrfürchtig.
    »Cinderella hat keine dunklen Haare. Das ist Prinzessin Amidala!«
    »Du immer mit …«
    »Hab ich euch!«
    Ronja und Luke kreischten auf, als je eine Hand ihre Schultern packte und herumriss. Vor ihnen stand Amelie und schüttelte sich vor Lachen.
    Luke baute sich vor ihr auf und schubste sie wütend. »Du gemeine Kuh! Dabei haben wir gerade eine Prinzessin gefunden.«
    »Na klar! Wo denn?«, höhnte Amelie immer noch kichernd.
    »Da!« Luke wollte mit einer dramatischen Geste auf das Mädchen zeigen und stutzte. Ronja war genauso verwirrt. Sie lief unter die Äste und hob ein Stück braunen groben Stoffs hoch, ähnlich wie die Säcke, in denen Papa manchmal Rüben für die Ziegen geliefert bekam. Mehr gab es unter dem Baum nicht mehr zu finden. Kein weißes Kleid, kein Mädchen.
    Amelie winkte herablassend. »Kinderkram. Kommt, hier ist nichts. Gras und ein alter Baum. Alles total langweilig.«
    Luke stand immer noch mit offenem Mund da und sah Ronja hilfesuchend an. Die zog ratlos die Schultern hoch. Sie hatten beide die Prinzessin gesehen, und jetzt war sie weg.
    Gemeinsam folgten sie Amelie, die bereits über den Zaun geklettert war und außerhalb des Verbotenen Gartens auf sie wartete.
    »Du hast sie auch gesehen, oder?«, flüsterte Luke empört. Er wandte den Kopf suchend in alle Richtungen, ehe er endgültig Amelie folgte.
    »Ganz bestimmt.« Ronja schaute ebenfalls ein letztes Mal über die Schulter. Jenseits des Verbotenen Gartens stand ein Reh unter den Bäumen und begegnete ihrem Blick. Es sah erschöpft aus und hatte ein Hinterbein erhoben, als wäre es verletzt. Noch ehe Ronja Luke anstoßen und ihm das Tier zeigen konnte, war es verschwunden.
    Nachdenklich folgte Ronja den anderen und drückte Mikesch dabei eng an sich. Noch mehrmals drehte sie sich um, weil sie das Gefühl hatte, dass sie jemand beobachtete. Aber sie konnte niemanden entdecken, und so erzählte sie auch niemandem davon. Stumm schüttelte sie den Kopf. Was für ein seltsamer Tag.

Eins
    Abschied
    D as war kein Alptraum, es war schlimmer. Merle versuchte vergeblich, sich zu orientieren. Um sie herum erstreckte sich graue formlose Weite. Sie konnte ihre Füße nicht erkennen. Sie mussten irgendwo unter ihr in diesem dickflüssigen Nebel sein. Gerade dieses stille Nichts um sie herum beunruhigte sie mehr als alles andere. Irgendetwas lauerte dort auf sie. Wie war sie hierhergekommen? Wann? Warum? Wo war sie überhaupt?
    Sie wusste noch, dass sie gerannt und gestürzt war, wie in einem dieser typischen Träume, in denen man rannte und nicht von der Stelle kam. Das, was hinter ihr her war, war immer näher gekommen. Im letzten Augenblick, bevor dieses Wesen nach ihr langen konnte, hatte sie den Boden unter den Füßen verloren und war scheinbar endlos gefallen.
    Normalerweise wachte man dann auf, oder? Merle konnte sich nicht daran erinnern, aufgewacht zu sein. Aber sie schlief auch nicht mehr. Ihr Verstand arbeitete so vertraut und zuverlässig auf Hochtouren, wie sie es von ihm gewohnt war. Nur ihre gesamte Wahrnehmung und ihr Körpergefühl passten nicht dazu.
    Sie blieb stehen. Konnte man in einem Traum willentlich etwas tun
? Ich will mich umsehen,
dachte sie. Tatsächlich, es gelang. Aber es machte keinen Unterschied. Um sie herum gab es nur unscharfes, einheitliches Grau. Eine konturlose Masse ohne eine Möglichkeit, sich zu orientieren. Kein Laut war zu hören, nichts zu riechen, nichts zu schmecken. Als ob sie jemand dick in Watte gepackt hatte, um sie von der Außenwelt abzuschirmen. Alles wirkte kalt, doch sie fröstelte nicht einmal. Zumindest nicht vor Kälte.
    Merle erinnerte sich, dass sie Angst gehabt hatte, kurz vor dem Fall. So eine dichte körperliche Angst, die einem nach dem Aufwachen das Herz bis zum Hals schlagen lässt. Jene Angst, die der Erleichterung weicht, wenn man die verkrampften Finger von der Bettdecke löst und sich sagen kann, dass alles nur ein böser Traum gewesen ist.
    Als Kind war sie in solchen Momenten hin- und hergerissen gewesen zwischen dem Verlangen, zu ihren Eltern ins große Ehebett zu huschen und gleichzeitig um keinen Preis der Welt das Bett zu verlassen. Warum hatte sie eigentlich damals geglaubt, im Bett sicher zu sein? Und heute? War sie nach dem Sturz in
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