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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt
Autoren: Diana Menschig
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blickte auf. Seine Augen hatten ihren alten Glanz wiedererlangt, doch sie erkannte ihre eigene Angst in ihnen gespiegelt. Sie beherrschten sich beide mit eisernem Willen. Es holte sie im Handumdrehen wieder in die Realität zurück. Jene Wirklichkeit, in der es Monster und Märchenfiguren gab. Und aufmerksame Katzen.
    Sie ergriff Jakobs Hand und drückte sie. »Uns fällt schon noch was ein.« Es klang nicht sehr überzeugend. Sie saßen in der Falle.
    Jakob lächelte sie traurig an. Er streckte eine Hand aus und strich ihr liebevoll eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich liebe dich, und ich habe dich vom ersten Moment an geliebt. Mein Märchen ist wahr geworden. Du solltest das wissen, bevor jemand das Märchenbuch zuschlägt.«
    Merle wollte etwas erwidern, doch Luzi lenkte sie ab.
    Es sah aus, als robbte die Katze, flach auf dem Boden liegend, Pfote um Pfote zurück. Merle blinzelte irritiert. Unterhalb der Truhe und an den Türritzen bildete sich weißer Nebel.
    »Jakob. Es ist so weit. Sie kommt rein.« Sie packte ihn am Arm, und sie sprangen beide gleichzeitig von der Bank, die polternd nach hinten fiel.
    »Der Kamin!«, rief er. »Sind da Schürhaken?«
    Merle rannte ihm hinterher und riss an einem Ständer mit Kaminbesteck. »Feuer! Wir müssen die Esse anzünden!«
    »Die ganze Esse? Wie stellst du dir das vor? Du fackelst die ganze Bude ab! Und weißt du, wie lange es dauert, so ein Feuer in Gang zu bringen?«
    »Wir versuchen es.«
    Merle stocherte wie wild mit dem Schürhaken in der Glut. Wie brachte man die denn eigentlich dazu, richtig zu brennen? Sie holte Luft und pustete, doch nichts tat sich.
    »Was machst du? Beeil dich!«
    Ein Klacken ertönte hinter ihr. Im nächsten Moment wirbelte Jakob sie herum, und sie krachten beide gegen den Schaukelstuhl. Eine Katze fauchte. Aus den Augenwinkeln sah Merle Jorinde von irgendwo hervorschießen. Als sie auf die Schnelle kein Versteck fand, kauerte sie sich nahe dem Stützbalken zu einem zitternden Bündel zusammen.
    Am liebsten hätte Merle es der Katze gleichgetan. Ihr Atem stockte, als der Nebel begann, wieder Gestalt anzunehmen. Staubige Knochen türmten sich mit trockenem Knirschen übereinander. Nebelwolken lösten sich von der Erscheinung und verpufften. Es war immer noch eine annähernd menschliche Gestalt, aber sie hatte nichts Menschliches mehr an sich. Ein grotesk kleiner halsloser Kopf mit rot glimmenden Augenhöhlen wackelte zwischen breiten Schultern aus blanken Knochen hin und her.
    Jakob fand als Erster sein Gleichgewicht wieder. Er stach mit dem Schürhaken auf das, was einst Greta gewesen war, ein. Es bewirkte nur, dass das Wesen teilweise in die Mädchengestalt wechselte, unnatürlich verzerrt und so groß, dass es mit dem Kopf an die Decke stieß. Es bewegte sich langsam, als müsse es erst die Orientierung wiedererlangen.
    »Hör auf, Jakob, das bringt nichts!« Merle wich zwei Schritte weiter zurück. Wo waren die verfluchten Äpfel, die Hans ihnen überlassen hatte? Sie ging in die Hocke und tastete nach ihnen. Endlich schlossen sich ihre Finger um eine der Früchte.
    Langsam kroch Greta auf sie zu. Die roten Augenhöhlen glommen auf.
    Merle sprang auf und schleuderte ihr den Apfel mit aller Kraft entgegen. Zu ihrem Entsetzten flog er durch die Gestalt hindurch und landete in der Esse. Eine grellweiße Stichflamme schoss empor. Merle und Jakob rissen reflexartig die Arme vor das Gesicht, um nicht geblendet zu werden. Doch kurz bevor sich sie abgewandt hatte, glaubte Merle ein Gesicht im Feuer zu erkennen. Es war eine alte Frau, die den Mund zu einem stummen Entsetzensschrei aufgerissen hatte. Flammen leckten wie ausgestreckte Arme über den Rand der Esse, konnten Greta jedoch nicht erreichen.
    Merle schrie vor Wut laut auf. Diese verdammten Äpfel waren also dazu da, dieses magische Feuer zu aktivieren, aber Greta stand zwischen ihr und der Esse und dachte nicht im Traum daran, sich umzudrehen.
    Greta rückte näher. Nur noch zwei, drei Schritte trennten sie voneinander.
    »Merle, nimm!«, hörte sie Jakobs Stimme hinter sich. Sie spürte eine Berührung, und der zweite Apfel wurde ihr in die Hand gedrückt.
    Merle lächelte Greta kalt entgegen. Jetzt wusste sie, was sie tun musste.
    »Jakob!«, zischte sie. Sie hielt die Hände hinter dem Rücken, in der einen den Apfel. Dann kreuzte sie die Zeige- und Mittelfinger der anderen Hand. Gleichzeitig betete sie, dass Jakob diese Geste kannte. Wenn er sich jetzt einmischte, waren sie
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