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Small World (German Edition)

Small World (German Edition)

Titel: Small World (German Edition)
Autoren: Martin Suter
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Ist er noch auf?«
    »Er ist im Bett, aber ich glaube, er ist noch wach. Er freut sich bestimmt über Ihren Besuch.«
    Sie ließ Elvira Senn herein, nahm ihr die Blumen ab und half ihr aus dem Regenmantel. Dann klopfte sie an Konrads Tür und öffnete sie: »Überraschung, Herr Lang.«
    Konrad hatte die Augen geschlossen. Als er Ranjahs Stimme hörte, schlug er sie auf. Sobald er Elvira sah, schloß er sie wieder.
    »Er ist sehr müde, weil er nichts ißt«, flüsterte Ranjah.
    »Ich werde einfach ein Weilchen hier sitzen, wenn Sie nichts dagegen haben.«
    Als Ranjah die Blumen in eine Vase gestellt hatte und damit zurück ins Zimmer kam, saß Elvira auf dem Stuhl am Bettrand und betrachtete den schlafenden Koni.
    Das Bild berührte Ranjah. Sie freute sich, daß die alte Frau nun doch noch zu ihm gefunden hatte. Wieder draußen, widerstand sie dem Impuls, die beiden im Stationszimmer am Monitor zu beobachten. Sie beschloß, diskret im Wohnzimmer zu warten, bis Konis Besucherin sich verabschiedete.
    Simone Koch und Peter Kundert waren beim dritten Kaffee. Das Papiertischtuch war vollgekritzelt mit Symbolen und Wörtern. Konitomi Õ Tomikoni stand da und Tomi Õ Koni und Mama Vira ÷ Mama Anna. Kundert konnte besser denken, wenn er sich Notizen machte.
    Je länger sie darüber redeten, desto mehr Sinn ergab das Ganze.
    »Darum die lange Reise. Damit sie die Kinder ungestört umprogrammieren konnten«, sagte Simone.
    »Und Elvira konnte das Personal entlassen und nach der Rückkehr neues einstellen«, vermutete Kundert.
    »Dann mußte sie die Buben wohl auch von den beiden alten Tanten fernhalten. Die hätten bestimmt etwas gemerkt.«
    »Und warum haben sie nach der Rückkehr nichts gemerkt?«
    »Vielleicht waren sie dann schon tot. Sie sehen sehr alt aus auf den Fotos.«
    Kundert notierte sich »Tanten wann †?«, riß die Notiz aus dem Tischtuch und steckte sie zu den anderen in die Brusttasche seines Hemdes.
    Das Fresco hatte sich geleert gehabt. Aber jetzt waren die Kinos aus, und das Lokal füllte sich wieder. Unter all den Menschen, die an den Tischen saßen und versuchten, sich über den gerade gesehenen Film klarzuwerden, fielen Simone Koch und Peter Kundert nicht auf.
    »Nur etwas paßt nicht«, grübelte Kundert. »Anna Lang. Oder vielmehr: Was hat Elvira dazu bewogen, bei diesem Tausch mitzumachen?«
    »Er nannte sie Mama. ›Mama, warum habt ihr Papa Direktor gestochen?‹«
    Kundert zögerte einen Moment. »Vielleicht haben sie Wilhelm Koch etwas injiziert.«
    »Sie haben ihn umgebracht«, stellte Simone fest.
    »Können wir das ausschließen?« Er schrieb »Todesursache Koch??«, riß das Papier weg und steckte es zu den anderen.
    »Ich glaube, es ist besser, wir gehen jetzt zurück«, sagte Simone.
    Zwei Stunden nachdem Elvira Senn gegangen war, merkte Schwester Ranjah, daß mit Konrad Lang etwas nicht in Ordnung war.
    Als sie routinemäßig nach dem Patienten schaute, war er schweißgebadet, leichenblaß, sein Herz klopfte wild, und er zitterte am ganzen Leib. Seine Lippen bewegten sich, als versuchte er etwas zu sagen.
    Sie hielt ihr Ohr ganz dicht an seinen Mund, aber sein Gelalle und Gestammel ergab keinen Sinn.
    »What’s the matter, baby, tell me, tell me!« Sie versuchte, von seinen Lippen zu lesen.
    »Angry? Why are you angry, baby?«
    Konrad schüttelte den Kopf. Wieder versuchten seine Lippen das Wort zu formen.
    »Hungry? You are hungry?«
    Konrad Lang nickte.
    Schwester Ranjah rannte hinaus und kam mit einem Einmachglas zurück. Sie schraubte es auf, fischte eine honigtriefende Mandel heraus und steckte sie ihm in den Mund. Und dann die nächste. Und dann die nächste.
    Konrad verschlang die Mandeln mit einer Gier, wie sie es noch nie bei einem Kranken erlebt hatte. Außer vielleicht manchmal bei Diabetikern, denen der Blutzuckerspiegel plötzlich abgefallen war. Aber Konrad Lang war kein Diabetiker.
    Seltsam war nur: Je mehr Honigmandeln er aß, desto besser ging es ihm. Sein Puls normalisierte sich, die Schweißausbrüche ließen nach, und er bekam wieder etwas Farbe.
    Schwester Ranjah steckte Konrad gerade die letzte Mandel in den Mund, als die Tür aufging und Dr. Kundert und Simone eintraten. Beide waren erleichtert.
    »Schwester Ranjahs Zauber hat wieder einmal gewirkt«, sagte Simone, »Konrad ißt wieder.«
    Schwester Ranjah erzählte, was passiert war. Die Symptome sprachen für eine Hypoglykämie. Dr. Kundert maß Konrads Blutzuckerwerte und stellte fest, daß sie immer noch an
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