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Small World (German Edition)

Small World (German Edition)

Titel: Small World (German Edition)
Autoren: Martin Suter
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hatte den günstigen Bescheid von Fredi Zeller etwas zu ausgiebig gefeiert, war gegen zwei Uhr in einem Lokal gelandet, das er sich eigentlich seit Eintritt in den Gesamtverwaltungsrat verboten hatte. Um vier Uhr morgens hatte er sich im Zimmer eines Altstadthotels wiedergefunden, mit einer hinreißenden Brasilianerin, die, wie sich im weiteren Verlauf herausstellte, einen Penis besaß. Was ihn in dem Moment überhaupt nicht gestört hatte. Im Gegenteil, wie er sich im nachhinein zu seinem blanken Entsetzen eingestehen mußte.
    Er war erst vor zwei Stunden heimgekommen, hatte den Wecker auf zehn Uhr gestellt und wollte mit Elvira zu Mittag essen, um sie, was die Vergangenheit anging, zu beruhigen.
    Dazu war es nun zu spät, wie er der stockenden Erklärung seines Vaters entnahm.
    Alles, was er noch tun konnte, war, einen möglichst klaren Kopf zu bekommen und mit der Schadensbegrenzung zu beginnen.
    Noch vom Bett aus rief er Fredi Zeller an. Hoffentlich hatte er nicht den gleichen Brummschädel wie er.
    Im Gästehaus kümmerte man sich unterdessen um den Patienten. Dr. Kundert machte vor allem eines Sorgen: Die Nervenzellen des Gehirns sind zur Energiegewinnung ausschließlich auf Glukose angewiesen. Seine Zuckerreserven reichen höchstens für zehn bis fünfzehn Minuten. Je nach Länge und Schwere der Unterzuckerung kann es zu schlimmen Schädigungen kommen. Und zu Persönlichkeitsveränderungen, selbst bei einem gesunden Gehirn.
    Bei einem Gehirn wie dem von Konrad Lang konnte es katastrophale Folgen haben.
    Die psychologischen Tests, die Kundert bis zu Simones Rückkehr (sie war zu ihrem Anwalt gefahren, um dort das Videoband zu deponieren) durchführte, hatten ihn etwas beruhigt. Konrad Langs Werte hatten sich nicht verschlechtert. Er war in Anbetracht der Erlebnisse der letzten Nacht sogar von erstaunlicher Präsenz.
    Aber nun, da Simone mit Konrad die Fotos durchging, sank ihm der Mut.
    Er erkannte nichts und niemanden auf keinem einzigen der Bilder. Er reagierte auf kein Stichwort. »Papa Direktor« war für ihn ein Fremdwort, »Konitomi« und »Tomikoni« entlockten ihm ein höfliches Lächeln und »Mama Vira« ein Achselzucken.
    Simone blieb hartnäckig. Dreimal fing sie wieder von vorn an, dreimal mit dem gleichen Resultat.
    Beim vierten Mal, als sie wieder auf die junge Elvira im Wintergarten zeigte und fragte: »Und das, ist das nicht Fräulein Berg?«, antwortete er leicht gereizt:
    »Wie gesagt, ich weiß es nicht.«
    Wie gesagt?
    Im Innern des schwarzen Daimlers war das Rauschen des Regenwassers kaum zu hören, das die Reifen des schweren Wagens aufwirbelten.
    Elvira Senn starrte zum Fenster hinaus, auf die trostlosen Ostschweizer Ortschaften und die paar vermummten Leute, die man in den Schneeregen hinausgejagt hatte.
    Schöller war zwar nicht Elviras Chauffeur, aber es war immer wieder vorgekommen, daß sie ihn kurzfristig zitierte für einen ihrer spontanen Ausflüge. Es gehörte zum Spiel, daß sie ihm nicht sagte, wohin die Reise führte. Manchmal, weil sie ihn überraschen wollte, manchmal, weil sie das Ziel selbst nicht kannte.
    Aber diesmal schien sie es genau zu kennen. Die Ortschaften waren ihr geläufig, Aesch bei Neftenbach, Henggart, Andelfingen, Trüllikon. Elvira Senn dirigierte Schöller mit knappen Anweisungen. Hinter Basadingen, einem Kaff, dessen Name Schöller aus Zeckenwarnungen an Spaziergänger und Jogger kannte, ließ sie ihn in einen Feldweg abbiegen.
    Ein paar Einfamilienhäuser und Bauernhöfe, dann hörte der Asphalt auf. Zweimal schrammte der Auspufftopf des Daimlers über die Kuppe des ausgefahrenen Weges. Ein Transformatorenhäuschen, eine eingezäunte Brunnenstube, dann Wald. Schöller blickte in den Rückspiegel. Elviras Hand winkte ihn weiter.
    Stöße aus säuberlich beschriftetem, exakt auf Länge gesägtem Holz säumten den Weg. Bei einem Polter aus frischgeschlagenem Langholz ließ sie ihn halten. Schöller stellte den Motor ab. Von den Tannenästen fielen schwere Tropfen auf das Wagendach.
    »Wo sind wir hier?« fragte Schöller.
    »Am Anfang«, antwortete Elvira.
    An einem schönen Sonntagmorgen im März 1932 spazierte ein ungleiches Paar durch den Geißwald. Der Mann war etwa vierzig, kräftig, hatte schütteres blondes Haar und einen gezwirbelten Schnurrbart. Sein Gesicht war gerötet vom Frühschoppen, den er mit den Kirchgängern in der Dorfbeiz genommen hatte. Er trug einen groben Sonntagsanzug, in dessen Hosensäcke er die Fäuste vergrub.
    Die Frau war ein
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