SLEEP - Ich weiss, was du letzte Nacht getraeumt hast

auf dem Skateboard hierher gebracht hat.
    Und sie denkt an Miss Stubin und dass sie nie die Gelegenheit gehabt hat, sich richtig von ihr zu verabschieden. Sie ist froh, dass sie den Zettel auf dem Stuhl gefunden hat.
    Sie denkt an Captain, und Tränen steigen ihr in die Augen. Familie , hat sie gesagt.
    Es ist schön, so eine Familie zu haben.
    Janie dreht Henrys Ring, sodass er das Licht der Straßenlaterne einfängt. Der Rubin funkelt. Sie macht eine Faust, presst den Ring an ihre Lippen und hält ihn dort. Dann hebt sie ihn hoch zum Himmel.
    »Hi Henry …«, sagt sie und hält inne. Der Schmerz in der Kehle ist zu groß, um weiterzusprechen.
    Janie lauscht den Grillen und Fröschen – oder Leitungen –, die in den letzten Sommertagen summen, bevor sie vom Rascheln der Herbstblätter abgelöst werden.
    Sie denkt auf andere Weise an ihre Mutter. Es ist heute eine neue Denkweise. Sie hat vor, zu einem weiteren Treffen bei Al-Anon zu gehen. Vielleicht erzählt sie ihnen sogar einmal ihre eigene Geschichte. Wenn ihr danach ist. Vielleicht auch nicht. Sie muss keine übereilten Entscheidungen treffen. Keine großen Verpflichtungen eingehen.
    Jeder Tag, wie er kommt.
    Janie holt tief Luft und spürt, wie ihr die kühle Nachtluft in die Lungen dringt. Einen Augenblick lang bleibt sie noch auf der Stufe sitzen, dann steht sie auf und sieht durchs Küchenfenster hinein, presst das Gesicht an die alte staubige Fensterscheibe und hält die Hände schützend um die Brille, damit die Straßenlaterne sie nicht blendet. Weiches Licht fällt vom Fenster in die Küche.
    Die Schachtel mit den Erinnerungen ist verschwunden.
    Der Kuchen auch.
    Janie lacht leise, doch innerlich schmerzt es ein wenig. Für eine kleine Weile hatte sie alle Sorgen hinter sich gelassen. Doch jetzt ist sie wieder hier, und hier wird sie zumindest eine Zeit lang auch noch bleiben.
    Es ist schwer, sich darüber richtig zu freuen.
    Aber das Leben geht weiter.
    Alles entwickelt sich in die eine oder andere Richtung weiter. Beziehungen, Fähigkeiten, Krankheiten, Behinderungen. Wissen.
    Die Uni. Ein neues Leben, wo sie nur wenige kennen. Wo sie nur wenige die Drogenfahnderin nennen werden. Aber wo es auch viele Träume geben wird.
    Sie seufzt.
    Ein Tag nach dem anderen. Ein Traum nach dem anderen.
    Sie hat ihre Wahl getroffen. Für jetzt. Für heute.
    »So ist es«, flüstert sie den summenden Leitungen zu. »So ist es wirklich.«
    Die Kühle des Abends, ein Vorbote des Herbstes, ist angekommen und Janie reibt sich über die nackten Arme, um die Gänsehaut zu vertreiben.
    Es ist anstrengend, über alles nachzudenken. Leise geht sie ins Haus, schließt die Tür hinter sich, streift die Schuhe ab und wirft den Rucksack aufs Sofa. Doch bevor Janie für heute Gutenacht sagt, hat sie noch eine Aufgabe vor sich.
    Auf nackten Füßen tappt sie durch den kurzen ruhigen Flur.
    Und hält vor dem Tor zu einer anderen Welt.
    Einen sorgenvollen Traum muss sie noch ändern.

Über die Autorin
    Lisa McMann wollte seit der vierten Klasse Schriftstellerin werden. Mit ihrem ersten Roman, Wake – Ich weiß, was du letzte Nacht geträumt hast , schaffte sie es direkt auf die New-York-Times-Bestseller-Liste. Lisa McMann lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in Arizona.