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Skorpion

Skorpion

Titel: Skorpion
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gleichgültig, wer man vor der Unterzeichnung des Vertrags gewesen war. Aber es gab immer noch ein paar offensichtliche Anzeichen, nach denen man Ausschau halten konnte, wenn man nur wusste, wie, und Carl hatte seit Wochen mit einer methodischen Intensität gesucht, die allmählich Züge der Verzweiflung angenommen hatte. Er wusste, dass sich Gray irgendwo oben auf dem Altiplano aufhielt, weil die Spur von Bogota aus dorthin führte, und wo sonst sollte eine Dreizehner-Variante am Ende hinlaufen? Er wusste dies, und er wusste, dass es bloß eine Sache der Zeit wäre, bevor die Spuren sichtbar würden und jemand Bescheid gäbe. Aber weil die Mittel für die Einführungsprogramme an allen Enden gekürzt und die Programme als solche immer schneller abgearbeitet wurden, um der wachsenden Nachfrage zu begegnen, wusste er auch, dass die Zeit auf Seiten des anderen Mannes war. Etwas musste sich tun, und zwar bald, sonst wäre Gray auf und davon und Carl könnte seine Prämie in den Wind schreiben.
    Als daher der Durchbruch erfolgte, als aus dem Netz der Kontakte, an dem er all die Wochen über gezupft hatte, die Rückmeldung über jenes winzige Datenbröckchen kam, fiel es ihm schwer, vor Freude keinen Luftsprung zu vollführen. Es fiel ihm schwer, nicht seine sorgfältig aufgebaute Tarnung fallen zu lassen, nicht seine Karte hervorzuholen, den Kredit bei der Agentur bis ins Letzte auszureizen und das schnellste allradgetriebene Geländefahrzeug zu mieten, das in Copacabana aufzutreiben war. Es fiel ihm schwer, nicht mit Agenturgeschwindigkeit über die Grenze zu jagen und Straßenstaub und Gerüchte aufzuwirbeln, bis er im Lager einträfe, wo Gray natürlich, sollte er nur die geringste lokale Unterstützung haben, längst auf und davon wäre.
    Carl vollführte keinen Luftsprung.
    Stattdessen forderte er vor Ort ein paar ausstehende Gefallen ein und konnte so eine Fahrt über die Grenze mit einer militärischen Verbindungseinheit organisieren – in einem altersschwachen Transporter mit dem sonnengebleichten, fast verblassten Logo der Kolonisierungsgesellschaft auf den gepanzerten Seiten. Die Besatzung bestand aus peruanischen Soldaten, Söhne armer Familien der Küstenprovinzen, die zum Militär gegangen und dann für Sicherheitsaufgaben der Gesellschaft abkommandiert worden waren. Dafür kassierten sie kaum mehr als den üblichen Sold, aber das Innere des Transporters war vergleichsweise üppig ausgestattet, zumindest nach militärischen Standards, und er hatte anscheinend sogar eine Klimaanlage. Und sie waren sowieso robust und jung, auf eine Art jung, wie man es in der westlichen Welt nicht mehr häufig zu sehen bekam. Unschuldig und zufrieden mit ihrer im harten Drill erworbenen körperlichen Leistungsfähigkeit und dem Prestige, das sie dem billigen Khaki zu verdanken hatten. Alle hatten ein breites Grinsen für ihn übrig, das ihre schlechten Zähne zeigte, und keiner war älter als zwanzig. Carl sah in der guten Laune ein Zeichen für ihre Unbedarftheit. Man konnte so gut wie sicher darauf wetten, dass diese Kinder keinen Schimmer davon hatten, wie viel ihr Oberkommandierender für ihre Dienste von seinen Firmenkunden abzockte.
    Eingeschlossen in dem ruckelnden, nach süßlichem Schweiß stinkenden Bauch des Fahrzeugs, brütete Carl darüber, welche Chancen er bei Gray hätte, und von daher wäre es ihm wirklich lieber gewesen, er hätte keine Gespräche fuhren müssen. Er redete nicht gern, hatte es nie getan. Hatte tatsächlich das Gefühl, es sei eine viel zu sehr überschätzte Freizeitbeschäftigung. Aber es gab eine Grenze dafür, wie schweigsam man sein durfte, wenn man eine kostenlose Mitfahrgelegenheit ergattert hatte. Also sammelte er ein wenig seichtes Geschwätz über die Play-Off-Runde kommende Woche zwischen Argentinien und Brasilien zusammen und warf so wenig in die Unterhaltung ein, wie er sich glaubte, erlauben zu können. Einige Bemerkungen über Patricia Mocatta und ob es ratsam war, weibliche Mannschaftskapitäne in Teams einzusetzen, die nach wie vor männlich dominiert waren. Überprüfung von Spielernamen. Taktische Vergleiche. All das kam anscheinend gut an.
    »Eres Marciano?«, fragte ihn einer schließlich und unausweichlich.
    Er schüttelte den Kopf. Zwar war er einmal Marsianer gewesen, aber das war eine lange, komplizierte Geschichte, und er verspürte kein Bedürfnis, sie zu erzählen.
    »Soy contable«, sagte er ihnen, weil er sich manchmal tatsächlich so fühlte. »Contable de
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