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Skorpion

Skorpion

Titel: Skorpion
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unwahrscheinlich es auch war, so konnte es doch sein, dass Gray den Bahnhof durch jemanden überwachen ließe. Je weniger auffällend Carl war, desto besser.
    Ein paar Blocks die Straße hinauf fand er, was er suchte. Einen Fertigbau, doppelt so groß wie die Einheiten rings umher, aus dessen mit Läden versehenen Fenstern und der offenen Doppeltür die Mischung aus Bloodbeat und Huayno drang. Die Wände waren übersät mit Werbeplakaten hiesiger Bands, die sich allmählich abschälten; den offenen Vorraum umklammerten zwei Panoramabilder, die etwas davon zeigten, wie sich die Agentur in Lima das karibische Nachtleben vorstellte. Weißer Sandstrand und Palmen bei Nacht, dazwischen Partylichter.
    Weiße Bikinigirls hielten kennerisch Bierflaschen umklammert und ließen neben ähnlich europäisch aussehenden Begleitern die Hüften zu einem unhörbaren Rhythmus kreisen. Abgesehen von der Band – tiefschwarze Muskelpakete, die fröhlich im Hintergrund herumtanzten, in geziemender Entfernung zu den Frauen – hatte niemand eine Haut, die dunkler war als ein Glas Scotch mit Wasser.
    Carl schüttelte amüsiert den Kopf und trat ein.
    Sobald er einmal drinnen war, wurde der Bloodbeat lauter, aber nicht unerträglich laut. Das Spitzdach saß in Höhe des ersten Obergeschosses; zwischen den Kunststoffbalken war nichts als leerer Raum, und die Musik wurde dort aufgesaugt. An einem Ecktisch spielten drei Männer und eine Frau ein Kartenspiel, bei dem man ansagen musste, und die vier konnten einander offenbar problemlos verstehen. Die Gespräche an den anderen Tischen bildeten ein beständiges Gemurmel, das trotz der Musik zu hören war. Die Sonne fiel durch die Tür und die Fensterläden herein und formte scharfkantige Stäbe und Blöcke aus Licht auf dem Fußboden, reichte jedoch nicht weit, und wenn man direkt darauf blickte und dann wieder wegschaute, wirkte der übrige Raum im Vergleich dazu nur sehr schwach erleuchtet.
    Am anderen Ende stützte eine bumerangförmige Bar aus vernieteten Zinnteilen ein halbes Dutzend Trinker. Sie war weit genug von den Fenstern entfernt, dass die Bierkühler an der Wand dahinter sanft im Dämmerlicht glänzten. In der Wand führte eine Tür nach draußen. Sie stand offen, und dahinter zeigte sich eine gleichermaßen schwach erleuchtete Küche, offensichtlich leer und nicht in Gebrauch. Die einzige Bedienstete weit und breit kam in Gestalt einer untersetzten Indigena-Kellnerin daher, die zwischen den Tischen umherschlurfte und Bierflaschen und Gläser auf einem Tablett einsammelte. Carl sah sie sich einen Augenblick lang genau an und folgte ihr dann, als sie zur Bar zurückkehrte.
    Er kam neben ihr zum Stehen, als sie gerade ihr Tablett absetzte.
    »Flasche Red Stripe«, sagte er auf Quechua. »Ohne Glas.«
    Sie tauchte kommentarlos unter dem Klappbrett hindurch und öffnete einen Kühlschrank auf dem Fußboden. Holte die Flasche heraus, richtete sich auf und hielt sie fest, ähnlich wie die Criollas auf den Werbeplakaten draußen. Dann öffnete sie sie geschickt mit einem rostigen Flaschenöffner, der an ihrem Gürtel hing, und setzte sie auf die Bar.
    »Fünf Soles.«
    Die einzige Währung, die er dabei hatte, war bolivianisch. Er grub eine COLIN-Karte heraus und hielt sie mit zwei Fingern hoch. »Kreditkarte okay?«
    Sie schenkte ihm einen langen, leidvollen Blick und ging den Apparat holen. Kurz schaute er auf die Zeitangabe in der oberen linken Ecke der Cebebrille und setzte sie dann ab. Zwar hatte sie sich der schwachen Beleuchtung angepasst, aber er wollte für das, was käme, direkten Blickkontakt. Er warf seinen Hut auf die Theke, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Bar und betrachtete den Raum. Gab sein Bestes, wie jemand auszusehen, der nichts weiter wollte wie einer, der hierher passte.
    Theoretisch hätte er sich bei seiner Ankunft mit dem Campmanager kurzschließen müssen. So war es in der Charta vereinbart. Ausgedehnte vorherige Erfahrung, einige davon mit seinem eigenen Blut beklebt, hatten ihn gelehrt, sich nicht weiter darum zu scheren. Da draußen gab es eine ganze Lawine an Missfallen über das, was Carl Marsalis war, und das berührte so ziemlich jede Ebene mentaler Polung im Menschen. Oben, am kognitiven Ende, stand eine ausgefuchste Dinnerparty-Politik, die seine berufliche Existenz als amoralisch verdammte. Auf einer eher gefühlsmäßigen Ebene fand man eine verallgemeinerte gesellschaftliche Abscheu, auf der das Etikett Abtrünniger klebte. Und noch tiefer, sich
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