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Sklaven der Flamme

Sklaven der Flamme

Titel: Sklaven der Flamme
Autoren: Samuel R. Delany
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lernen. Denke daran, du bist der Erbe des Reiches Toromon. Das darfst du keine Sekunde lang vergessen.«
    »Manchmal wünsche ich, daß ich es könnte«, erwiderte Let. »Nur manchmal.«
    »Sag das nie wieder«, entgegnete sie im scharfen Befehlston. »Hörst du mich? Du darfst solche Dinge nicht einmal denken.«
    »Es tut mir leid, Petra.« Seine Cousine, die Herzogin, hatte sich seit ihrer Ankunft vor zwei Tagen ganz sonderbar benommen. Obwohl sie fünfzehn Jahre älter war als er, fühlte er sich zu ihr am meisten hingezogen. In ihrer Gegenwart konnte er die Krone vergessen, die ständig über seinem Haupt schwebte. Sein Bruder war nicht gesund. Einige flüsterten sogar, daß in seinem Kopf nicht alles stimme. Doch nun wies ihn Petra selbst immer wieder auf den goldenen Reif des Königtums hin. »Jedenfalls bin ich jetzt hier«, sagte er. »Was wolltest du?«
    »Dir guten Morgen sagen.« Der freundliche Tonfall brachte Let zum Lächeln. »Erinnerst du dich noch an die Geschichte, die ich dir gestern abend erzählte – von den Sträflingen in den Tetron-Bergwerken?«
    »Natürlich.« Let war bei dem Gedanken an diese Geschichte eingeschlafen. »Die Männer planten die Flucht.« Sie hatte mit ihm im Garten gesessen, eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit, und hatte ihm in quälenden Einzelheiten den Fluchtversuch von drei Sträflingen geschildert. Als die Spannung am höchsten war – die drei Männer warteten im Nieselregen neben der Treppe auf einen günstigen Fluchtmoment –, hatte Petra ihre Schilderung abgebrochen. »Du wolltest mir heute den Rest erzählen.«
    »Möchtest du das Ende der Geschichte wirklich hören?«
    »Natürlich. Ich konnte stundenlang nicht einschlafen, weil ich darüber nachdachte.«
    »Nun gut«, sagte Petra. »Als der Posten abgelöst wurde, stolperte er über das Seil, das sie auf der Treppe gespannt hatten. Der zweite Posten lief wie geplant herbei, um nachzusehen, was geschehen war, und sie rannten durch das Scheinwerferlicht in den Wald …« Sie machte eine Pause. »Einer von ihnen schaffte es. Die beiden anderen wurden getötet.«
    »Was?« sagte Let. »Ist das alles?«
    »So ungefähr«, meinte Petra.
    »Das verstehe ich nicht.« Am Vorabend hatte sie die Geschichte in allen Einzelheiten geschildert, die schlechte Behandlung der Sträflinge, das mühselige Graben eines unterirdischen Tunnels, die Vorsichtsmaßnahmen, die sie trafen – dazu die lebhafte Beschreibung der Landschaft, so daß er das Gefühl hatte, selbst in einer dieser fauligen, wasserdurchlässigen Hütten zu wohnen. »Du kannst doch nicht einfach so aufhören«, rief er. »wie wurden sie gefangen? Welcher von ihnen entkam? War es der Dicke mit den Sommersprossen? Wie starben sie?«
    »Auf scheußliche Weise«, erwiderte Petra. »Nein, der Dicke mit den Sommersprossen schaffte es nicht. Sie brachten ihn und den Hinkenden am Morgen zurück und warfen sie in den Schlamm vor den Hütten, um die anderen zu entmutigen.«
    »Oh«, sagte Let. Und nach einer Weile fragte er: »Was wurde aus dem, der ihnen entwischte?«
    Sie gab keine Antwort darauf, sondern sagte statt dessen: »Let, ich möchte dich warnen.« Der Prinz versteifte sich ein wenig, aber es kam anders, als er erwartet hatte. »Let, es könnte sein, daß du in Kürze ein großes Abenteuer erlebst. Vielleicht möchtest du dann einige Dinge vergessen, weil es leichter so ist. Zum Beispiel, daß du Prinz von Toromon bist. Aber das darfst du nicht vergessen, Let, das darfst du nicht.«
    »Was für ein Abenteuer, Petra?«
    Auch diesmal beantwortete sie seine Frage nicht. »Let, weißt du noch, wie ich dir das Gefängnis schilderte? Was würdest du tun, wenn du König wärst und über die Sträflinge zu gebieten hättest – über ihr verdorbenes Essen, die Ratten und die vierzehn Stunden Schwerarbeit, die sie täglich in den Minen verrichten?«
    »Hm, ich weiß nicht, Petra«, begann er unsicher. Es war, als habe sein Geschichtslehrer eine Frage über die Regierung gestellt und erwartete nun die richtige Antwort von ihm, nur weil er zufällig zur Herrscherfamilie gehörte. »Wahrscheinlich würde ich den Rat konsultieren und mir Chargills Meinung anhören. Es würde auch von den einzelnen Gefangenen abhängen und davon, was sie getan haben – und natürlich auch von der Volksmeinung. Chargill sagt immer, daß man nichts überstürzen darf …«
    »Ich weiß, was Chargill sagt«, erwiderte die Herzogin ruhig. »Aber du wirst meine Worte nicht vergessen,
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