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Sklaven der Flamme

Sklaven der Flamme

Titel: Sklaven der Flamme
Autoren: Samuel R. Delany
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elf.
    Plötzlich blieb er vor einem Bücherschrank stehen und öffnete die Glastür. »Da ist es«, sagte er wieder laut. »Ja, ich weiß, daß wir keine Zeit haben, aber das hier erklärt die Sache besser, als ich es könnte.« Er zog ein Buch heraus. »Wir benutzten es in der Schule. Lange ist das her.«
    Es war Cathams Neuere Geschichte von Toromon. Er öffnete den Krokoeinband und überblätterte ein paar Seiten.
    »… von den wenigen Bibliotheken, die das Große Feuer (die Grundlage unserer neuen Zeitrechnung) überdauerten. Die Zivilisation war zum Barbarentum herabgesunken. Aber schließlich gründeten die wenigen Überlebenden der Insel Toron eine Siedlung, ein Dorf, eine Stadt. Sie stießen aufs Festland vor, und der Uferstreifen wurde zur Hauptnahrungsquelle der Inselbevölkerung, die sich ganz dem Wiederaufbau widmete. An der Küste entstanden Höfe und Fischerdörfer. Auf der Insel blühten Technik und Wissenschaft auf und wurden bedeutende Faktoren im Leben von Toromon – dem Reich Toromon, wie es von da an hieß.
    Jenseits der Küstenebenen entdeckten Forscher das Dschungelvolk, das den schmalen Waldstreifen zwischen Küste und Lavafeldern bewohnte. Es handelte sich um Mutanten von hünenhaftem Wuchs und friedfertigem Wesen. Sie leisteten keinerlei Widerstand, als man sie in das Reich Toromon eingliederte.
    An den Dschungel grenzten die zerklüfteten Felder aus Lava und toter Erde, und hier entdeckte man das bisher unbekannte Metall Tetron. Man setzte Sträflinge ein, um es zu gewinnen. Mit diesem Metall tat die Technik einen großen Sprung nach vorn, denn die Energie, die man aus dem Tetron gewann, konnte vielfältig genutzt werden.
    Dann erfuhren wir, weshalb das Dschungelvolk aus Mutanten bestand und weshalb jenseits des Waldstreifens kein Leben mehr gedieh. Hinter den Lavafeldern brannte immer noch radioaktives Land, offenbar ein Überbleibsel aus den Tagen des Großen Feuers. Wir konnten die Grenzen unseres Reiches nicht mehr weiter ausdehnen.
    Je näher man jenem Todesfeld kam, desto mehr verkümmerten die Pflanzen, bis sie schließlich ganz dem Fels wichen. Falls sich ein Mensch in dieses Gebiet wagte, war ihm ein langsamer, quälender Tod sicher. Zuerst litt er Durst; dann trocknete die Haut aus; danach kamen Blindheit, Fieber, Wahnsinn und Tod.
    Am Rand der Strahlungsbarriere, wie zum Trotz wider den Tod, wurde Telphar errichtet. Es war weit genug entfernt, so daß sich die Bewohner in Sicherheit befanden, aber doch so nahe, daß sie den purpurnen Schimmer jenseits der Bergketten sehen konnten. Zur gleichen Zeit wurden Experimente mit elementarer Materie-Transmission durchgeführt. Als Zeichen der neuen Wissenschaft baute man die Transit-Schleife, die die beiden Städte verband. Es war mehr eine Geste der Solidarität als ein praktisch verwendbares Bauwerk. Man konnte höchstens drei- bis vierhundert Pfund oder zwei bis drei Menschen auf einmal befördern. Der Transit erfolgte ohne jeden Zeitverzug, und man machte sich große Hoffnungen für die Zukunft. Theoretisch konnte man mit Hilfe des Transit-Systems zu den Sternen gelangen.
    Dann, an einem Herbstabend vor sechzig Jahren, beobachteten die Bürger von Telphar im Westen ein stärkeres Aufflammen der Strahlung. Sieben Stunden später war der Himmel über Telphar von fahlblauen und gelben Streifen überzogen. Die Evakuierung begann, und innerhalb von drei Tagen war Telphar eine tote Stadt. Man entwickelte viele Theorien, die den plötzlichen Strahlungsanstieg erklären sollten, aber bis jetzt konnte man die Ursache nicht ergründen.
    Zum Glück erreichte die Strahlung nicht die Tetron-Minen; Telphar jedoch ging Toron für immer verloren …«
    Jon schloß plötzlich das Buch. »Verstehst du?« sagte er. »Deshalb hatte ich Angst, als ich sah, wo ich mich befand. Deshalb …« Er unterbrach sich achselzuckend. »Du hörst nicht zu«, sagte er und legte das Buch zurück an seinen Platz.
    Ein Stück weiter vorn teilte sich der Korridor in zwei reich geschnitzte Treppen. Er wartete, die Hände in die Taschen geschoben, und sah geistesabwesend aus einem Fenster, als müsse ein anderer für ihn die Entscheidung treffen. Schließlich ging er mit trotzig zurückgeworfenem Kopf nach links. Seine nackten Füße traten vorsichtig auf, und er hielt sich müde am Geländer fest.
    Wieder erreichte er einen Korridor, geschnitzte Büsten und Statuen schmückten die Wandnischen. Sie waren abwechselnd blau oder gelb beleuchtet. Als er an der Ecke ein
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