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Sklaven der Flamme

Sklaven der Flamme

Titel: Sklaven der Flamme
Autoren: Samuel R. Delany
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dem Thronsaal zu stehlen? Du hast ihm sogar die Waffe verschafft. Nur wurde das später in der Verhandlung verschwiegen. Hast du auch den Wachtposten Bescheid gesagt, daß ich kommen würde? Das erfuhr ich nie mit letzter Sicherheit.«
    »Hör mal …«, begann Uske. »Du bist verrückt.«
    »Damals war ich vielleicht ein wenig verrückt. Aber fünf Jahre in den Tetron-Minen haben mich zur Vernunft gebracht.«
    »Du bist ein Mörder …«
    »Es war Notwehr, du weißt es genau. Die Wächter, die sich auf mich stürzten, meinten es durchaus ernst. Ich habe den Mann nicht absichtlich getötet. Ich wollte nur verhindern, daß er mich umbrachte.«
    »Du hast zuerst geschossen, Jon Koshar. Ich halte dich für verrückt. Überhaupt – was suchst du hier?«
    »Es würde zu lange dauern, dir alles zu erklären. Aber glaube mir, deinetwegen kam ich bestimmt nicht zurück. Dich wollte ich nicht sehen.«
    »Du platzt hier herein und stiehlst meine Kleider …« Plötzlich lachte er. »Oh, natürlich. Ich träume. Wie albern von mir. Ich muß träumen.«
    Jon runzelte die Stirn.
    Uske fuhr fort: »Wahrscheinlich habe ich seit damals ein Schuldgefühl. Immer wieder tauchst du auf und verschwindest wieder. Du mußt Einbildung sein. Koshar! Der Name! Natürlich. So heißen die Leute, zu deren Fest ich heute gehen werde. Deshalb der Traum.«
    »Welches Fest?« fragte Jon.
    »Dein Vater veranstaltet es zu Ehren deiner Schwester. Ja, das stimmt schon. Du hattest eine ziemlich hübsche Schwester. Ich werde jetzt weiterschlafen. Und wenn ich aufwache, hast du verschwunden zu sein, verstanden? So ein alberner Traum!«
    »Einen Moment noch. Weshalb gehst du zu dem Fest?«
    Uske bohrte den Kopf tiefer in die Kissen. »Offensichtlich ist es deinem Vater gelungen, ein großes Vermögen anzusammeln. Chargill meint, ich muß ihn freundlich behandeln, dann können wir uns später Geld von ihm borgen. Es ist natürlich möglich, daß ich das auch geträumt habe.«
    »Du träumst nicht.«
    Uske öffnete ein Auge und schloß es wieder. Dann rollte er sich auf den Bauch. »Sag das meiner Cousine, der Herzogin Petra. Sie wurde eigens für dieses Fest von ihrem Inselbesitz hierhergeschleift. Die einzigen, die kneifen können, sind Mutter und mein kleiner Bruder. Glückspilze!«
    »Schlaf jetzt wieder«, sagte Jon.
    »Verschwinde«, entgegnete Uske. Er öffnete noch einmal die Augen, als Jon auf den Knopf drückte und die Vorhänge das Licht verdrängten. Die kopflose, händelose Gestalt ging zur Tür hinaus. Uske zog zähneklappernd die Decke über den Kopf.
     
    Jon ging den Korridor entlang.
    Hinter einer der Türen, die er passierte, befand sich die Suite der Herzogin Petra. Die Herzogin stand am Fenster und sah über die Dächer der Stadt hinweg, über die prunkvollen Häuser der reichen Kaufleute und Fabrikbesitzer, über die verschachtelten Gebäude, in denen die Ärzte, Beamten, Sekretäre und Angestellten der Stadt lebten, bis zu den stinkenden Wellblech- und Bretterhütten im Höllenkessel.
    Die Morgensonne ließ ihr Haar aufflammen; ihr Gesicht war noch blasser als gewöhnlich. Sie schob das Fenster einen Spalt auf, und der Morgenwind verfing sich in ihrem blauen Negligé. Geistesabwesend spielte sie mit dem Rauchkristall, der an einer silbernen Kette um ihren Hals hing.
     
    Jon ging immer noch den Korridor entlang.
    Drei Türen weiter lag die alte Königin auf einem Stapel weicher Matratzen. Sie hatte sich in der Mitte des gewaltigen Himmelbetts eine Nische geschaffen. Das weiße Haar war in zwei Schnecken über die Ohren gelegt, ihr Mund stand leicht offen, und der Atem drang seufzend zwischen den weißen Lippen hervor. An der Wand über dem Bett hing das Porträt des verstorbenen Königs Alsen. Er trug Szepter, Ornat und eine wohlwollende Miene.
     
    In einer Suite neben dem Schlafgemach der Königinmutter saß Let, der zweite Prinz königlichen Geblüts und vermutlicher Erbe des Reiches Toromon und sonstiger Besitztümer, auf dem Bettrand und rieb sich die Augen. Er hatte nur seine Schlafanzugjacke an.
    Der Dreizehnjährige war blond und zart wie sein Bruder. Er versuchte, die Schlaftrunkenheit abzuschütteln. Immer noch blinzelnd zog er seine Unterwäsche und dann die Hose an. Er warf einen Blick auf die Uhr. Dann knöpfte er das Hemd zu, schaltete die Telefonanlage des Palasts ein und drückte auf einen Knopf.
    »Ich habe verschlafen, Petra«, entschuldigte sich Let. »Aber jetzt bin ich wach.«
    »Du mußt noch Pünktlichkeit
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