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Sklaven der Begierde

Sklaven der Begierde

Titel: Sklaven der Begierde
Autoren: Tiffany Reisz
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schneite wieder, die Flocken fielen auf den gefrorenen Boden. Vielleicht hatte sein Großvater doch recht. Vielleicht war er ja wirklich ein Sünder. Das würde zumindest erklären, warum er, mit gerade mal sechzehn Jahren und bei lebendigem Leibe, in die Hölle auf Erden geschickt worden war.
    „Vielen Dank, Matthew. Komm bitte rein.“ Father Henry winkte den Jungen zu sich heran. Der Junge, Matthew, warf ihm neugierige Blicke zu, während er vor dem Schreibtisch so etwas wie Haltung annahm. „Wie lange hattest du Französischunterricht bei Father Pierre, bevor er starb?“
    Matthew trat nervös von einem Fuß auf den anderen. „Une année?“
    Father Henry lächelte ihn freundlich an. „Das ist kein Test, Matthew. Nur eine Frage. Du darfst Englisch sprechen.“
    Der Junge stieß einen erleichterten Seufzer aus.
    „Ein Jahr, Father. Und ich war nicht besonders gut.“
    „Matthew, das ist Kingsley …“, Father Henry unterbrach sich und schaute auf die Akte, die vor ihm lag, „… Boissonneault?“
    Kingsley wiederholte seinen Nachnamen und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie schrecklich Father Henry ihn verstümmelt hatte. Dämliche Amerikaner .
    „Ja, Kingsley Boissonneault. Ein neuer Mitschüler. Aus Portland.“
    Kingsley musste seine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um den Father nicht zu korrigieren und darauf hinzuweisen, dass er nur sechs Monate in Portland gelebt hatte. Paris. Nicht Portland. Er war aus Paris. Aber wenn er das tat, dann würde er offenbaren, dass er Englisch nicht nur verstehen konnte, sondern sogar perfekt sprach. Und er hatte nicht die geringste Absicht, mit den Bewohnern dieses grässlichen Höllenlochs auf irgendeine Weise zu kommunizieren.
    Matthew lächelte ihn zaghaft an. Kingsley erwiderte das Lächeln nicht.
    „Nun ja, Matthew, selbst wenn dein Französisch doppelt so gut ist wie meins, bringt uns das nicht wirklich weiter.“ Zum ersten Mal während des Gesprächs verging Father Henry sein fröhliches Grinsen. Er wirkte plötzlich angespannt, besorgt und genau so nervös wie Matthew. „Du wirst wohl zu Mr Stearns gehen müssen und ihn darum bitten, hierherzukommen.“
    Als er den Namen „Mr Stearns“ hörte, riss Matthew seine Augen so weit auf, dass sie ihm aus dem Gesicht zu plumpsen drohten. Kingsley hätte beinahe laut losgelacht. Doch als er feststellte, dass Father Henry Matthews Reaktion offenbar nicht so lustig fand wie er, wurde auch ihm etwas mulmig zumute.
    „Muss ich wirklich?“, fragte Matthew kläglich.
    Father Henry atmete schnaubend aus. „Er wird dich schon nicht beißen“, sagte er dann, aber es klang nicht besonders überzeugt.
    „Aber es ist jetzt 4:27 Uhr“, gab Matthew zu bedenken.
    Der Priester zog eine gequälte Grimasse. „Oh, tatsächlich? Nein, dann dürfen wir die Sphärenmusik natürlich nicht stören. Das heißt, du wirst diese Aufgabe jetzt wohl oder übel übernehmen müssen. Vielleicht können wir Mr Stearns ja später dazu überreden, sich mit unserem neuen Schüler zu unterhalten. Führ Kingsley herum, zeige ihm alles. Gib einfach dein Bestes.“
    Matthew nickte und forderte Kingsley mit einer Geste auf, ihm zu folgen. Im trostlosen Foyer blieben sie stehen. Der Junge wickelte einen Schal um seinen Hals und zog Handschuhe an. Dann sah er Kingsley an und wirkte dabei hoch konzentriert.
    „Ich kenne das französische Wort für Foyer nicht.“
    Kingsley unterdrückte ein Lächeln. Das französische Wort für „Foyer“ war foyer .
    Draußen im Schnee drehte Matthew sich um und zeigte auf das Gebäude, das sie gerade verlassen hatten. „Da drin haben alle Fathers ihre Büros. Les pères … bureau?“
    „Bureau, oui“ , wiederholte Kingsley, und Matthew strahlte ihn an, sichtlich beglückt darüber, ihm eine Äußerung entlockt zu haben.
    Kingsley folgte dem Jungen in die Bibliothek, wo Matthew verzweifelt nach dem französischen Wort für diesen Ort suchte. Dass die unendlichen Reihen von Bücherregalen eigentlich gar keinen Zweifel daran ließen, in was für einer Art Raum sie sich befanden, schien ihm gar nicht aufzufallen.
    „Bibliothek …“, sagte er. „Trois …“ Offenbar wollte er erklären, dass das Gebäude drei Stockwerke hatte. Allerdings kannte er das Wort für „Stockwerke“ genau so wenig wie das für „Bibliothek“, daher behalf er sich damit, seine Hände dreimal aufeinanderzulegen. Kingsley nickte, als verstehe er, was der Junge meinte, obwohl das Ganze eher so aussah, als ob Matthew
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