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Sklaven der Begierde

Sklaven der Begierde

Titel: Sklaven der Begierde
Autoren: Tiffany Reisz
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werden. Kingsley machte Anstalten, den Altarraum zu betreten, doch Matthew packte seinen Arm und schüttelte warnend den Kopf.
    Die Musik verstummte. Der blonde Pianist senkte die Arme und starrte ein paar Sekunden lang auf die Tastatur, fast wie im Gebet, bevor er den Deckel schloss. Als er aufstand, konnte Kingsley erkennen, dass er mindestens einen Meter achtzig groß war. Vielleicht sogar noch größer.
    Matthew schien wie gelähmt vor Angst. Der blonde junge Mann zog sein schwarzes Jackett an und kam mit langsamen Schritten auf sie zu. Aus der Nähe betrachtet sah er noch besser aus, wirkte aber gleichzeitig seltsam undurchschaubar. Er kam Kingsley vor wie ein geheimnisvolles Buch, das in einem gläsernen Kasten eingeschlossen war, und er hätte alles darum gegeben, den Schlüssel zu besitzen. Der junge Mann sah ihn an, und in seinen stahlgrauen Augen war keine Spur von Freundlichkeit zu erkennen. Keine Freundlichkeit … aber auch keine Grausamkeit. Er atmete nervös ein, als der Pianist an ihm vorbeiging, und roch den unverkennbaren Duft des Winters.
    Ohne ein Wort an ihn oder Matthew zu richten, verließ der junge Mann die Kirche.
    „Stearns“, flüsterte Matthew, als er weg war.
    Sieh an. Das war also der mysteriöse Mr Stearns, der seinen Mitschülern und Father Henry so viel Furcht und Respekt einflößte. Faszinierend … Kingsley war noch niemals jemandem begegnet, der auf Anhieb so furchterregend wirkte. Kein Lehrer, kein Eltern- oder Großelternteil, kein Polizist und kein Priester hatte ihn jemals fühlen lassen, was er gefühlt hatte, als er sich im selben Raum aufhielt wie der Pianospieler, Mr Stearns.
    Kingsley schaute nach unten und sah, dass seine Hand ganz leicht zitterte. Matthew sah es auch.
    „Du brauchst dich nicht zu schämen.“ Der Junge nickte ihm verschwörerisch zu. „Das geht jedem so.“

NORDEN
    DIE GEGENWART
    Die Angst war das Beste gewesen. Diese Angst, die ihn verfolgt hatte wie die Schritte, die er plötzlich hinter sich hörte. Er hatte sich in den Wald geflüchtet, um seinen seltsamen Gefühlen zu entkommen – und dort etwas viel Besseres als Sicherheit gefunden. Die Schritte – wie hatte sein Herz gerast, als sie lauter wurden, näher kamen. Er hatte Angst gehabt, weiterzulaufen, Angst, dass er dann entkommen würde. Er war weggelaufen, um gefangen zu werden. Das war der einzige Grund.
    Kingsley erinnerte sich, wie er nach Luft geschnappt hatte, als sich eine unnachgiebig starke Hand um seinen Hals legte … Die raue Rinde des Baumstamms an seinem Rücken … Der Geruch von Nadelhölzern, so überwältigend, dass er auch heute noch, dreißig Jahre später, hart wurde, sobald er das Aroma von Kiefern roch. Und danach, als er auf dem Waldboden wieder zu sich gekommen war, nahm er einen neuen Duft auf seiner Haut wahr – Blut, sein Blut … und … Winter.
    Drei Jahrzehnte später war er noch immer außerstande, Sex von Angst zu trennen. Beides war in seinem Herzen untrennbar miteinander verwoben, für alle Ewigkeit. Und er bereute es nicht. Er hatte an jenem Tag die Macht der Angst kennengelernt, aber auch das Vergnügen, das sie schenken konnte, und heute, dreißig Jahre später, war Angst Kingsleys Spezialität.
    Leider war seine Juliette im Moment nicht verängstigt.
    Aber das konnte er ändern.
    Kingsley beobachtete sie aus den Augenwinkeln, während er einen Schluck Wein trank. Sie stand zwischen Griffin und dem jungen Michael und lächelte mal den einen, mal den anderen an. Die beiden kauten ihr gerade eines ihrer zauberhaften Ohren ab, mit der tollen Geschichte, wie Nora Sutherlin sie zusammengebracht hatte. Für einen einzigen wunderbaren Tag, an dem er nichts über die erstaunliche Nora Sutherlin hören musste, würde er sein halbes Vermögen geben. Er würde es mitten auf der Fifth Avenue auf einen Scheiterhaufen legen, anzünden und zusehen, wie es zu Asche zerfiel. Ach, wenn es nur so einfach wäre, das Monster, das er erschaffen hatte, zu zerstören.
    Nein, korrigierte er sich. Das Monster, das wir erschaffen haben.
    Juliette blickte in seine Richtung und schenkte ihm ein heimliches Lächeln, eines, das keiner Übersetzung bedurfte. Aber er würde noch warten, sich alle Zeit der Welt nehmen. Sollte sie ruhig denken, dass er heute Abend nicht in der richtigen Stimmung war. So würde ihre erwartungsvolle Vorfreude sich immer mehr steigern – um dann der Angst zu weichen. Wie wunderbar seiner Juliette die Angst stand, wie unwiderstehlich sie in ihren braunen
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