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Skalpell Nr. 5

Skalpell Nr. 5

Titel: Skalpell Nr. 5
Autoren: Michael Baden , Linda Kenney
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sagte Jake. »Mensch, du hast mir doch selbst beigebracht, dass ein Gerichtsmediziner, der was taugt, die Allgewaltigen auf die Palme bringt. Gehört einfach dazu.«
    »Und du warst mein bester Schüler. Hast das Auf-die-Palme-Bringen zur Kunst erhoben. Wie geht’s Wally?« Harrigan neigte zu abrupten Themenwechseln.
    »Macht sich prima. Der Mann ist ein Gottesgeschenk. Ich danke dir jeden Tag für ihn.«
    Dr. Walter Winnick – Wally – war ein Protegé, den Harrigan Jake empfohlen hatte. Der Mann hatte einen Klumpfuß, aber einen schnellen Verstand, der stets die richtigen Schlüsse zog. Ohne ihn hätte Jake seine viele Arbeit niemals bewältigen können.
    »Freut mich zu hören.«
    »Wie geht’s Elizabeth?«, fragte Jake.
    »Sehr gut. Die Frau wird der nächste Gouverneur von New Jersey. Aber seit sie diesen Markis geheiratet hat, kommt sie mich kaum noch besuchen. Wenn ich meine Tochter mal sehen will, muss ich nach New Jersey fahren, und selbst dann muss ich mich vorher bei ihrem Pressetypen anmelden.«
    Eine Pause trat ein. Ungewöhnlich, dachte Jake. Pete war normalerweise derart redselig, dass Jake kaum dazwischenkam. Er hörte Harrigan mühsam atmen. Krank, überlegte Jake, oder besorgt? »Was ist los?«
    »Lass uns ein bisschen fachsimpeln.«
    »Gern«, sagte Jake erleichtert. »Geht’s um den Fall Carramia?«
    »Ehrlich gesagt, nein. Diesmal rufe ich nicht wegen deiner Fälle an. Es geht um einen von meinen.«
    »Schieß los«, sagte Jake.
    Ein Zögern, ein Husten. »Ich hab gedacht, du könntest vielleicht herkommen und mir helfen, ein paar Knochen zu enträtseln.«

    Seit er im Ruhestand war, lebte Dr. Peter Harrigan in Turner, einem kleinen Ort an einem großen See, zwei Stunden mit dem Auto nördlich der Stadt. Jake traf am nächsten Morgen um sechs Uhr früh dort ein. Er holte Harrigan zu Hause ab, einem weißen Cottage mit gelben Fensterläden, das von außen eher wie ein Puppenhaus aussah und nicht wie der Wohnsitz eines forensischen Pathologen von Weltruf.
    Die beiden Männer umarmten sich. »Wir werden dein Auto nehmen müssen, auch wenn ich es nicht gerade beruhigend finde, dass ich die Straße durchs Bodenblech sehen kann«, sagte Pete. »Mein Chevrolet ist kaputt.« Er lud eine Kiste mit Obduktionsgeräten, einen Fotoapparat und ein paar Leichensäcke auf den Rücksitz von Jakes altem, klapprigem Oldsmobile und nahm zwei Tassen Kaffee mit nach vorn. Er hatte dieselbe blaue Polartec-Jacke an, die Jake ihm sieben Jahre zuvor kurz vor seinem Abschied geschenkt hatte; Jake trug eine dunkelgrüne Wachsjacke, die Marianna ihm in London gekauft hatte, auf ihrer einzigen gemeinsamen Reise.
    »Ist dir klar«, sagte Jake, als Pete rückwärts aus der Einfahrt setzte, »dass du im geografischen Mittelpunkt von Nirgendwo wohnst?«
    Harrigan grinste. »Aber es ist spannend. Laufend kapitale Verbrechen. Erst letzte Woche hat unser Bürgermeister außerhalb der Jagdsaison einen Hirsch geschossen. Der Stadtrat debattiert noch immer darüber, wie viel Bußgeld er zahlen soll.«
    Jake trank einen Schluck heißen Kaffee. Bitter und stark – in Anbetracht seines Schlafmangels würde er viel davon brauchen. »Du hast über dreißig Jahre in New York gelebt.«
    »Bin drüber weg.«
    Nach fast vier Jahrzehnten in der forensischen Pathologie hatte Harrigan sich seiner Frau Dolores zuliebe aufs Land zurückgezogen. Drei Jahre später war sie gestorben. Als ihn das viele Angeln schließlich langweilte, hatte er den Posten des Gerichtsmediziners von Baxter County übernommen, was bedeutete, dass er ein oder zwei Totenscheine pro Woche abzeichnete und ein paar Obduktionen pro Monat durchführte. Mit seinen zweiundsiebzig Jahren war er der älteste amtierende Gerichtsmediziner im Staat New York.
    »Dann erklär mir mal«, sagte Jake, »wieso ich mitten in der Nacht herkommen musste.«
    »Damit du da bist, bevor die mit dem Ausbaggern weitermachen.«
    »Ausbaggern, wo?«
    »Auf dem Feld da hinten.«
    »Am Samstagmorgen?«
    »Den Bau eines Einkaufszentrums kann offenbar nichts aufhalten«, sagte Pete ernst, »weder Menschen noch Knochen.«
    Sie fuhren auf einer zweispurigen Straße, an der rechts und links Bäume standen, keine Häuser. »Ein Einkaufszentrum? Hier draußen?«
    »Es geht das Gerücht, der Gouverneur wird den Seneca-Indianern das Recht zusprechen, ein Kasino zu bauen. Die Stadtväter sind schon ganz aus dem Häuschen bei dem Gedanken an die vielen Touristen, und natürlich wollen sie ihnen Gelegenheit
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