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Skalpell Nr. 5

Skalpell Nr. 5

Titel: Skalpell Nr. 5
Autoren: Michael Baden , Linda Kenney
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Lügen genauso unwohl fühlte wie mit seinem Körper. Aber seiner Stimme war keine Anspannung anzumerken. »Meine Meinung basiert auf dem von mir gesichteten Material: dem Obduktionsbericht, den Zeugenaussagen und meiner Sektion des Gehirns, das von der Gerichtsmedizin aufbewahrt worden war.«
    »Aber in Miss Carramias ärztlichen Unterlagen deutet nichts darauf hin, dass sie an dieser Krankheit litt.«
    Rosen wandte sich an den Richter: »Ist das eine Frage?«
    Selbstgefälliger Schnösel.
    »Ich formuliere es anders«, sagte Manny rasch. »Gab es in Miss Carramias ärztlichen Unterlagen irgendein Indiz dafür, dass sie an dieser« – sie warf einen vielsagenden Blick Richtung Geschworenenbank – »seltenen Krankheit litt?«
    Rosen zuckte die Achseln. »Das kann ich mir kaum vorstellen.«
    Sie schüttelte den Kopf, als hätte sie in ihrem ganzen Leben noch nie etwas derartig Abwegiges gehört. »Kommt Ihre Meinung der Polizei dann nicht ungemein gelegen? Überreichen Sie ihr damit nicht sogar, schön als Geschenk verpackt, einen Gefängnisschutzbrief?«
    Alle sechs Anwälte der Verteidigung sprangen auf wie Cheerleader beim Super Bowl. »Einspruch!«, rief einer.
    Manny sah sie an und verdrehte die Augen. »Das ist eine Redewendung.«
    »Sie ist suggestiv«, sagte ein anderer.
    Der Richter grinste. »Überrascht Sie das?« Manny wollte etwas sagen, aber er winkte ab. »Abgelehnt.«
    »Danke, Euer Ehren.« Sie wandte sich wieder Rosen zu. »Würden Sie mir zustimmen, dass Aussagen von Polizeibeamten in Fällen wie diesem häufig unzuverlässig sind?«
    Er beugte sich vor. »Nicht unbedingt.«
    Hab ihn! »Ach nein?« Sie hielt ein Dokument hoch. »Das hier ist die Zusammenfassung eines Vortrags, der auf einem Kongress der Amerikanischen Akademie für forensische Wissenschaft im Februar dreiundneunzig gehalten wurde. Er basiert auf der Untersuchung von einundzwanzig Fällen polizeilicher Gewaltanwendung mit tödlichem Ausgang und kommt zu dem Schluss, dass Pathologen sich in solchen Fällen nicht auf polizeiliche Aussagen verlassen sollten, weil diese häufig unrichtig sind, möglicherweise aufgrund von Stress oder schlichter Unehrlichkeit. Ist Ihnen das Dokument bekannt?«
    »Ich glaube schon.« Hatte er ihr gerade zugezwinkert?
    »Sie haben es geschrieben, Dr. Rosen, nicht wahr?«
    Wie kann er so ruhig bleiben? Ich hab ihn in die Enge getrieben.
    »Sie übersehen den entscheidenden Punkt«, sagte er. »In all den Fällen widersprachen die Aussagen der Polizisten der Wissenschaft. Hier nicht.«
    Manny fuhr so schnell herum, dass sich Strähnen aus ihrem hastig gedrehten Haarknoten lösten. »Sollen die Geschworenen etwa glauben, dass sie zufällig während der Festnahme gestorben ist? Was hält denn die Wissenschaft von solch absurden Zufällen?«
    Rosen trommelte mit den Fingerspitzen auf dem Holzgeländer, das erste Anzeichen von Zorn. »Es ist kein Zufall«, sagte er mit beherrschter Stimme. »Das Platzen eines natürlichen Aneurysmas kann durch emotionalen Stress oder körperliche Anstrengung ausgelöst werden, zum Beispiel, wenn man beim Ladendiebstahl erwischt wird und sich dann gegen Polizisten zur Wehr setzt.«
    Oha. Geschworene schätzten es ganz und gar nicht, wenn man einen Sachverständigen vor Gericht als Volltrottel bezeichnete, und genau das lag ihr auf der Zunge. Aber seine letzte Bemerkung war ein Punkt für die Verteidigung.
    »Dr. Rosen«, sagte sie und gewann die Fassung wieder, »zwei Ihrer Kollegen haben ausgesagt, dass Miss Carramia eine subdurale Blutung erlitten hat, was fast immer auf ein stumpfes Schädeltrauma schließen lässt. Lügen Ihre Kollegen?«
    Rosen rieb sich die Schläfen. »Keineswegs. Ohne eine vollständige Sektion des Gehirns war das ein nahe liegender Fehler.« Er sprach die Geschworenen mit der freundlichen Stimme eines Kindergartenonkels an. »Ein Aneurysma ist wie ein ganz kleiner Ballon. Als dieser hier platzte, strömte das Blut durch die extrem dünne Spinnwebhaut, also die innere Hirnmembrane, in die äußere Dura mater, die feste Hirnhaut, was eine subdurale Blutung auslöste. Es ist richtig, dass die meisten subduralen Blutungen auf Schädeltraumata zurückzuführen sind. Diese jedoch nicht.« Zur Verdeutlichung legte Rosen die Hände zusammen, formte sie zu einem Ball und öffnete dann die obere.
    Herrgott, dachte Manny. Im Zeugenstand wirkt er größer. Überzeugender. Und die Geschworenen fangen an, ihm zu glauben!
    »Außerdem«, fuhr Rosen fort, »trat bei
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