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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)
Autoren: Alexandra Tobor
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andere Art nach Perfektion strebte: Oma Greta, meine Mutter und ich. Während Oma das Bügeleisen über eine eingesprengte Tischdecke zischen ließ, führte Mama ihr vor, was sie in der Kirche tragen würde.
    »Was meint ihr?«, sagte Mama, während sie in einem schlichten, aber eleganten Hosenanzug hereinsegelte. »Sagt dieses Outfit nicht: Ich bin eine moderne, weltoffene Mutter?«
    »Mir sagt es: Ich mache mich zum Affen«, entgegnete Oma trocken. »Das ist doch nicht schick genug, Danuta. So kannst du dich nicht auf einer Kommunion sehen lassen. Würdest du so auch auf einer Hochzeit erscheinen?«
    »Warum nicht?«, sagte Mama. »Das trägt man hier so.«
    Oma begann, sich die Stirn zu massieren.
    »Tu dir das nicht an. Zieh besser mein Hemdblusenkleid an, das mit den großen Rosen, und dazu eine Brosche.«
    Mama schaute hilflos und verloren drein.
    »Meinst du nicht, dass ich darin aussehen würde wie eine alte Tante?«, fragte sie so vorsichtig, dass ich sie kaum hören konnte.
    »Willst du mir damit sagen, dass ich darin wie eine alte Tante aussehe?«, rief Oma empört.
    »Du bist doch eine ältere Dame«, sagte Mama. »Zu dir passt so ein Kleid.«
    »Ältere Dame?!« Oma schnaubte verächtlich auf. »Ältere Damen, das sind die Mütterchen vor eurem Fenster, die in den leberwurstfarbenen Jacken. Solange ich mir die Haare färbe und mit den Absätzen klacke, verbiete ich mir solche Bezeichnungen!«
    »Das habe ich gar nicht gemeint«, redete Mama sich heraus. »Du siehst natürlich bezaubernd aus. Aber für hiesige Begriffe ist dieses Kleid altmodisch, vertraue mir.«
    »Ach ja? Ich hab’s aber an der Fernsehansagerin gesehen«, sagte Oma überzeugt. »Aber mach, was du willst. Wirf mir später bloß nicht vor, dass ich dich nicht gewarnt hätte. Und nun ist Ola dran mit ihrem hübschen Kleidchen. Auf, auf, Kindchen, zieh dich um. Zeig Oma, wie fein du morgen aussehen wirst.«
    Mein Kommunionskleid hatte ich schon besessen, bevor wir nach Deutschland gekommen waren. Die größte Kettenraucherin Polens, keine Geringere als meine Großtante Frieda, hatte es aus ihren alten Gardinen genäht. Es war etwas zu kurz, die Ärmel kratzten, und der Kragen drückte, aber als ich weiß gekleidet vor Oma trat, bestätigte sie mir, was ich schon längst wusste: »Du siehst aus wie die Prinzessinnen im tschechischen Märchenfilm.«
    Dieses Kleid versprach die Erfüllung meiner Träume. Noch einmal schlafen, dann würde ich endlich als Mittelpunkt verzückter Aufmerksamkeit erstrahlen. So schön, wie ich mich fühlte, hätte selbst Bajtek mich dem Lambada-Mädchen vorgezogen. Wie ein Schneeflöckchen wirbelte ich an diesem Abend ins Bett. Ich war von Kopf bis Fuß auf Verehrung eingestellt.

28.
Weißer Sonntag
    Nie hatten die Glocken heller geläutet als an diesem Morgen. Mir war so hoheitlich zumute, dass ich beim Ankleiden eine Kammerzofe vermisste. Der Schritt meiner zu klein geratenen Strumpfhose hing mir in Kniehöhe, aber das konnte nur von Vorteil sein, machte es doch meinen Gang zurückhaltend und würdevoll, wie es sich für eine echte Prinzessin gehörte. Ich stülpte mir mein Kommunionskleid über den Kopf und setzte mir das Kränzchen auf, das meine Mutter aus preiswerten Deko-Blumen vom Baumarkt geknüpft hatte. Das Kränzchen erforderte eine gerade Körperhaltung, damit es nicht vom Kopf rutschte, und trug dadurch zur erstrebten Grazie bei. Kaum war ich in strahlendem Weiß aus meinem Zimmer getreten, stürzte Oma mir mit einem tropfenden Kamm entgegen.
    »Komm, ich mache dir die Haare fein«, sagte sie gebieterisch, und zu meiner Mutter gewandt: »Weißt du noch, Danuta, damals, als du zur Kommunion gegangen bist, was hab ich dir für eine tolle Frisur gemacht!«
    Mama hatte mir schon oft davon erzählt. Mit der Kaltblütigkeit eines Forschers soll Oma erst erkundet haben, wie kurz der Pony eines Kindes sein musste, um es vollkommen debil aussehen zu lassen. Dann hatte sie ihr die Zöpfe so stramm gezogen, dass Mama zu keinem anderen Gesichtsausdruck fähig war als zu einem Grinsen von Ohr zu Ohr. Ihre zahlreichen Kommunionsfotos, von denen die schlimmsten lose im Album steckten, zeugten davon. Mama erinnerte sich nur zu gut und sagte eilig: »Ich mache meiner Tochter die Haare.«
    Oma zog die geschwungenen Augenbrauen nach oben, zum Zeichen, dass sie zutiefst gekränkt war. Dann widmete sie sich weiter dem Zementieren ihrer Turm-Frisur, während Mama mir die Haare flach an die Wangen bürstete. Ich sah
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