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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)
Autoren: Alexandra Tobor
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für ein Problem? Kann die nicht mal rausgehen?«, fragte Patrizia. Ich ging über ihre respektlose Bemerkung hinweg, indem ich eine Kassette von Matthias Reim in den Ghettoblaster drückte.
    »Habt ihr keine Stereoanlage!?«, fragte Patrizia beinahe angewidert.
    »Du meckerst hier nur rum!«, meldete Melanie sich plötzlich zu Wort. »Wieso gehst du nicht einfach nach Hause, wenn es dir hier nicht gefällt? Bevor du gekommen bist, hatten wir alle ziemlich viel Spaß!«
    »Meine Mutter holt mich erst um acht ab«, antwortete Patrizia mit trotzig-leidender Miene.
    »Geh doch einfach früher«, schlug Uta vor. »Oder findest du alleine etwa nicht nach Hause?«
    Als hätte Anastasia meinen Schreck bemerkt, rückte sie kichernd an mich heran und hakte sich kameradschaftlich bei mir unter. Patrizia verzog das Gesicht, als hätte sie in eine ungezuckerte Grapefruit gebissen, und stampfte in den Flur, wo sie in ihre Schuhe schlüpfte. Das Geschenk, das seit ihrer unwirschen Ankunft ungeöffnet auf der Kommode gelegen hatte, nahm sie wieder mit.
    In der Nacht nach meiner Party, die nach Patrizias Abgang ein voller Erfolg wurde, zerbrach ich mir noch lange den Kopf über den Mut meiner Freundinnen. Konnte etwa auch ich jemandem, der sich unmöglich benahm, einfach so ins Gesicht sagen, dass er sich unmöglich benimmt? Konnte auch ich mich wehren, mich widersetzen, mich beschweren? Hatte ich das Recht, Patrizia doof zu finden, ohne Bestrafung fürchten zu müssen? Nie zuvor hatte ich das auch nur in Erwägung gezogen.

27.
Byzuch
    Ganz Polen ist sich darin einig, dass ein Mädchen vor dem Eintritt ins heiratsfähige Alter nichts sehnsüchtiger erwartet als den Tag, der anschließend als der schönste ihres Lebens in die Familienalben und wehmütigen Erzählungen gebrechlicher Tanten eingehen wird. Es ist der Tag der ersten heiligen Kommunion. Ein ganzes Jahr, wenn nicht mein ganzes Leben, hatte ich mich darauf vorbereitet. Ich besuchte den Kommunions-Unterricht bei Pfarrer Braun, dem im Beichtstuhl die großen Ohren schlackerten, als ich aus Mangel an eigenen Ideen die Sünden kleinkrimineller Klassenkameraden auf mich lud. In Wirklichkeit hatte ich mich nur einer Sünde schuldig gemacht, und die wollte ich dem Pfarrer nicht verraten. Während der wöchentlich stattfindenden Vorbereitungen hatte ich nämlich mitbekommen, dass es Kinder gab, denen von Weihrauch schlecht werden konnte. Sobald das silberne Fass geschwenkt wurde, mussten sie die Kirche verlassen, um draußen kurz Luft zu schnappen. Es dauerte nicht lange, bis ich herausfand, dass auch mir ordentlich schwiemeln konnte, und weil die Sonntagsmessen so langweilig waren und die Bücher in der Bibliothek so spannend, wurde es mir zur Gewohnheit, die Kirche eine Viertelstunde vor Schluss mit Ohnmachtsgesten zu verlassen. Als Erste in der Bibliothek konnte ich mir die besten Bücher ausleihen, die mir sonst ein anderer vor der Nase weggeschnappt hätte. Meine Eltern, die jeden Sonntag die polnische Messe in Neustadt besuchten, bekamen von meinen Eskapaden zum Glück nichts mit. Über mein eigenes schlechtes Gewissen versuchte ich hinwegzusehen. Meine kleine Sonntagssünde gab mir das Gefühl, ein bisschen erwachsen zu sein.
    Im März 1991 blickten meine Eltern nach einjähriger Planung auf die bestätigte Gästeliste für die Erstkommunionsfeier. Darauf standen Oma Greta und ihr Langstrecken-Chauffeur Herr Banane; Opa Stefek und Oma Hilda, die Eltern meines Vaters, die in Ratibor wohnten und die ich nicht mehr gesehen hatte, seit wir rausgefahren waren; Tante Selma, die lammfromme Nachbarin und Schwägerin von Oma Greta; Großtante Maria und Großonkel Ewald, meine beiden Taufpaten; sowie Onkel Marek und seine Verlobte Asia. Das machte sechs Besucher, die für die Kommunion extra aus Polen anreisen würden. Da Telefone mittlerweile auch in polnische Haushalte Einzug gehalten hatten, beharrte meine Mutter darauf, dass ich meine Großeltern, Onkel und Tanten alle persönlich einlud.
    Doch die ersten Versuche scheiterten kläglich. Ich brachte nicht einen korrekten Satz in meiner Muttersprache zustande. Meine Eltern warfen mir vor, ich würde aus purer Albernheit in verkrüppelter Grammatik reden und mir Fantasievokabeln ausdenken. Sie wussten nicht, dass ich Klassenkameraden hatte, die mich aufforderten, polnische Zungenbrecher zum Besten zu geben, nur um dann sagen zu können: »Eure Sprache ist behindert.« Polnisch zu verlernen schien mir die eleganteste Lösung für
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