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Sinuhe, Sohn der Sykomore 1

Sinuhe, Sohn der Sykomore 1

Titel: Sinuhe, Sohn der Sykomore 1
Autoren: Kathrin Brueckmann
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seine Missbilligung mehr als alles andere.
    Im Haus des Cheti ging es weniger förmlich zu. Die gemeinsame Abendmahlzeit nutzte der Schreiber, um seiner Familie über die neuesten Entwicklungen bei Hofe zu berichten. Oft entspannen sich daraus lebhafte Diskussionen über den Zustand der Beiden Länder, und hier wurde auch die Meinung des Knaben gehört. Cheti war es wichtig, die Ausbildung seines Sohnes über das Schulische hinaus zu fördern und seinen Verstand zu schärfen.
    Wie alle ägyptischen Kinder aus Hofkreisen lernten die beiden Jungen in der Palastschule bereits die Grundkenntnisse der ägyptischen Schrift. Sie standen im selben Alter, doch war Sesostris für seine acht Überschwemmungen bereits hoch aufgeschossen. Sein Körperbau ließ darauf schließen, dass er einmal muskulös und stark werden würde. Sinuhe, kleiner und zartgliedrig, wirkte eher etwas verträumt, und niemand wäre auf die Idee gekommen, in ihm einen künftigen Streiter im Heer des Pharaos zu sehen. So verschieden die beiden Jungen waren, so stark war das Band der Freundschaft, das sie verband. Denn jeder der beiden fand im anderen das, was ihm selbst an Eigenschaften fehlte und er insgeheim vermisste. Sesostris’ ungestümes Vorpreschen wurde oft vom bedächtigen Sinuhe gebremst, während dieser mit seinem Freund aufregende Abenteuer erlebte, die er sich allein nie zugetraut hätte.
     
    Wie geschmolzenes Gold zog sich das Band des Stroms zwischen den Ufern dahin. Im Osten konnte man die Silhouette von Waset mit den Hütten und Häusern, Palästen und Tempeln erkennen. Entlang der Uferstreifen lagen Felder, jetzt, so kurz nach der Aussaat, noch schwarz vom fruchtbaren Schlamm des Flusses. Die Freunde genossen beim Paddeln das friedliche Bild und die Stille der abendlichen Stunde.
    Plötzlich zerbrach der ruhige Spiegel der Wasseroberfläche.
    Sinuhe erkannte die Zeichen als Erster: »Achtung! Ein Krokodil!«
    »Sobek wird uns unsere Beute nicht streitig machen«, sagte Sesostris in Anspielung auf den krokodilgestaltigen Nilgott. »Schneller, Sinuhe!«
    »Lass es gut sein. Das ist viel zu gefährlich«, wandte Sinuhe ein.
    »Kommt gar nicht infrage! Mein Wurfholz, meine Beute. Beeil dich doch!«
    Die Aufregung sandte prickelnde Schauer über Sinuhes Haut, als er das Ruderblatt energisch durch die Wasseroberfläche stieß. Pfeilschnell flog das kleine Boot über den Nil, er sah Schweiß auf dem braun gebrannten Rücken seines Freundes glänzen. Sie hatten die Stelle fast erreicht, an welcher der tote Vogelkörper auf den Wellen dahindümpelte. Sesostris beugte sich über den Bug, die Hand im Wasser. Fast konnte er den Vogel schon greifen. Noch weiter reckte er sich vor. Angespannt verfolgte Sinuhe das Manöver, denn unweit zeigten Wirbel im Wasser das Nahen des Krokodils an.
    »Nicht! Es ist zu spät, komm zurück!« Entsetzt über so viel Leichtsinn versuchte Sinuhe vergeblich, die rasende Fahrt zu bremsen.
    Doch Sesostris schien auf keinen Fall aufgeben zu wollen. Seine tastenden Finger schlossen sich fest um den Hals des Vogels. Triumphierend hob er den Arm, das Wasser perlte vom Gefieder der Ente. Da durchbrach das Krokodil die Wasseroberfläche und schnappte nach dem Leckerbissen. Ein Schrei, und Sesostris war im aufgewühlten Wasser verschwunden.
    Wie betäubt saß Sinuhe da. Die untergehende Sonne warf lange Schatten über den Nil, und von der Stadt herüber wehten Fetzen von Klagegeschrei. Für einen Moment stand für ihn die Zeit still. Doch dann warf er sich bäuchlings auf den Papyrusnachen und durchkämmte mit seinen Armen das Wasser. Immer hektischer suchte und paddelte er, immer grauer wurde das Licht über dem Nil. Als seine Finger endlich den Freund erfühlten, schluchzte er vor Erleichterung. Doch der Körper, den er ins Boot hievte, war schlaff.
    Er drehte Sesostris auf den Rücken und tätschelte seine Wange. »Wach auf!«
    Aber er wusste es, spürte, dass der Ba seines Freundes den Körper verlassen hatte. Angst, Verzweiflung und Wut würgten seine Kehle. »Verlass mich nicht! Komm zurück!«
    Immer lauter hallten die Schreie die Klageweiber. Sinuhe nahm es kaum wahr. Wie rasend trommelte er auf Sesostris’ Brust, rüttelte und schüttelte den leblosen Leib.
    Da begann Sesostris zu husten und zu würgen. In einem Schwall gab er das Wasser des großen Stroms von sich. Dann schlug er die Augen auf und zeigte sein unverschämtes Grinsen.
    »Nicht alles für Sobek«, krächzte er. In seiner geöffneten Hand lag noch
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