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Singularität

Singularität

Titel: Singularität
Autoren: Charles Stross
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Silbertablett
serviert, es war kein nächtlicher Überfall gewesen. Das
allein schon wies auf ein bestimmtes Maß an Zurückhaltung
hin und legte eine entsprechende Reaktion nahe, sodass sich Martin
dazu entschlossen hatte, die Karte des verwirrten Gastes aus der
Fremde so gut wie möglich auszuspielen.
    Nach einer weiteren Minute senkte der BÜRGER die Feder und
sah Martin an. »Bitte geben Sie Ihren Namen an«, sagte er
mit milder Stimme.
    Martin verschränkte die Arme. »Wenn Sie den noch nicht
wissen, wieso bin ich dann hier?«
    »Bitte geben Sie Ihren Namen zu Protokoll.« Die Stimme
des BÜRGERS war leise, prononciert und so beherrscht, als redete
eine Maschine. Er sprach den ortsüblichen Dialekt – eine
Abart der fast universellen alten englischen Umgangssprache –
mit einem irgendwie harten deutschen Akzent.
    »Martin Springfield.«
    Der BÜRGER notierte es. »Und jetzt nennen Sie mir bitte
Ihre Staatsangehörigkeit.«
    »Meine was?«
    Martin musste verdutzt ausgesehen haben, denn der BÜRGER zog
eine grau gesprenkelte Augenbraue hoch. »Bitte nennen Sie Ihre
Staatsangehörigkeit. Sie sind Untertan welcher
Regierung?«
    »Regierung?« Martin verdrehte die Augen. »Ich komme
von der Erde. Bei gesetzlicher Vertretung und Versicherung nutze ich
Pinkertons, außerdem habe ich zur langfristigen Absicherung
eine zusätzliche Versicherung bei unserer Luftwaffe Neuen Typs
abgeschlossen. Was meine Beschäftigung betrifft, so bin ich
offiziell als selbstständige Firma eingetragen, die beiderseitig
verbindliche vertragliche Verpflichtungen gegenüber
verschiedenen Organisationen hat, einschließlich Ihrer eigenen
Admiralität. Aus nostalgischen Gründen bin ich als
Bürger der Volksrepublik West Yorkshire eingetragen, obwohl ich
dort schon seit zwanzig Jahren nicht mehr gewesen bin. Aber ich
würde nicht sagen, dass irgendeine der genannten Einrichtungen
mir gegenüber weisungsbefugt ist, außer meine
Vertragspartner – und denen gegenüber bin ich ebenso
weisungsberechtigt.«
    »Aber Sie stammen von der Erde?«, fragte der Bürger
mit gezückter Feder.
    »Ja.«
    »Aha. Dann sind Sie ein Untertan der Vereinten
Nationen.« Er notierte sich kurz etwas. »Warum haben Sie
das nicht gleich gesagt?«
    »Weil das so nicht richtig ist«, erwiderte Martin und
ließ eine Spur von Frust durchklingen. (Allerdings nur eine
Spur: Er konnte sich in etwa vorstellen, welche Machtbefugnisse der
BÜRGER besaß, und hatte nicht die Absicht, ihn zur
Ausübung seiner Macht zu provozieren.)
    »Die Erde… Die höchste politische Instanz auf
diesem Planeten ist die Organisation der Vereinten Nationen. Folglich
sind Sie auch ihr Untertan, oder nicht?«
    »Keineswegs.« Martin beugte sich vor. »Bei der
letzten Zählung gab es mehr als fünfzehntausend staatliche
Organisationen auf der Erde. Davon sind nur etwa neunhundert
Spitzenorganisationen in Genf vertreten, und nur siebzig haben einen
ständigen Sitz im Sicherheitsrat. Die Vereinten Nationen haben
keine Machtbefugnis über irgendeine nicht-staatliche
Organisation oder über einzelne Bürger, sie stellen
lediglich eine Schlichtungskörperschaft dar. Ich bin ein
souveränes Individuum, keine Regierung hat das Sagen über
mich.«
    »Aha«, sagte der BÜRGER, legte die Feder
äußerst behutsam neben dem Tintenlöscher ab und sah
Martin direkt an. »Ich merke, dass Sie nicht verstehen, worum es
hier geht. Ich werde Ihnen einen großen Gefallen tun und
vorgeben, Ihre letzten Worte nicht gehört zu haben.
Wassily?«
    Sein junger Gehilfe blickte auf. »Ja?«
    »Raus.«
    Der Gehilfe – kaum mehr als ein Junge, den man in eine
Uniform gesteckt hatte – stand auf und marschierte zur Tür,
die hinter ihm fest zuschlug.
    »Ich werde das hier nur einmal und nie wieder sagen.«
Als der BÜRGER kurz schwieg, merkte Martin, dass dessen
äußere Gelassenheit lediglich der Deckel war, der
ungestüme Wut unter Verschluss hielt. »Es kümmert mich
nicht, welche irrwitzigen Vorstellungen die auf der Erde
Zurückgebliebenen von ihrer eigenen Souveränität
haben. Es kümmert mich auch nicht, wenn mich ein
unverschämter junger Hund wie Sie beleidigt. Aber solange Sie
sich auf diesem Planeten aufhalten, werden Sie sich in Ihrer
Lebensweise nach dem richten, was wir als richtig und angemessen
empfinden! Ist das klar?«
    Martin fuhr zurück. Der BÜRGER wartete ab, ob er etwas
darauf erwidern würde, aber als er weiterhin schwieg, setzte er
mit eiskalter Stimme nach: »Sie sind auf Einladung der
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