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Singularität

Singularität

Titel: Singularität
Autoren: Charles Stross
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vorrückten, tauchten die Reisenden aus ihrem
Kälteschlaf auf, bereit, Handelsbeziehungen einzugehen und
zuzuhören.
    Rochards Welt war eine äußerst rückständige
Kolonie der Neuen Republik, die selbst nicht gerade zu den besonders
zukunftsorientierten menschlichen Zivilisationen der Post-Diaspora
zählte. Aufgrund der nur schwach entwickelten Industrie –
nicht nur die eigenen Fähigkeiten, sondern auch die Gesetze
verhinderten neue Entwicklungen – zog diese Welt kaum Handel an,
und es gab nur wenige Augen, die den Himmel nach verräterischen
Anzeichen von Besuchern absuchten. Lediglich der Raumhafen, der sich
in einer zur Oberfläche synchronen Umlaufbahn befand, hielt
Wache, konzentrierte sich dabei jedoch auf die Ekliptik des inneren
Systems. Die Flotte des Festivals hatte einen riesigen Gasmond und
drei Kometen in Einzelteile zerlegt und auf einem zweiten Mond die
Arbeit aufgenommen. Jetzt bereitete sie sich darauf vor, Telefone aus
dem Orbit regnen zu lassen, ehe das Reichsministerium zur
Verkehrsüberwachung merkte, dass irgendetwas nicht mehr am alten
Platz war.
    Überdies herrschte anfangs beträchtliche Verwirrung. Die
Neue Republik zählte zwar nicht zu den Kernwelten, war aber auch
nicht allzu weit ab vom Schuss. Dagegen lag der Ursprung des
Festivals weit außerhalb des Lichtkegels, der vom Ursprung der
Neuen Republik ausging – mehr als tausend Lichtjahre von der
alten anarchistischen Erde entfernt. Zwar konnten Neue Republik und
Festival auf eine gemeinsame Ahnenreihe zurückblicken, aber ihre
Entwicklung war seit so vielen Jahrhunderten in divergierende
Richtungen verlaufen, dass sie sich mittlerweile schon aufgrund ihrer
Genome in jedem einzelnen Punkt voneinander unterschieden – und
das betraf die Gepflogenheiten von Kommunikation gleichermaßen
wie die Volkswirtschaft.
    Und so kam es, dass das Festival im Orbit das bedächtige,
eintönige Geschwätz der Reichsverkehrsüberwachung zwar
bemerkte, aber nicht weiter beachtete. Was noch unerklärlicher
war: Niemandem im Herzoglichen Palast kam es in den Sinn, eines der
halb zusammengeschmolzenen Telefone, mit denen das Land
überschwemmt war, tatsächlich aufzuheben, um zu fragen:
»Wer seid ihr, und was wollt ihr?« Aber vielleicht war es
doch nicht so erstaunlich. Denn am späten Nachmittag hatte sich
in Nowyj Petrograd bereits ein Bürgeraufstand ausgebreitet, der
kaum noch zu kontrollieren war.
     
    Burija Rubenstein, radikaler Journalist, Agitator für
demokratische Rechte, ehemals politischer Gefangener, lebte
mittlerweile am Stadtrand in der inneren Emigration, da man ihm auf
mindestens zehn Jahre die Rückkehr zu seinem Heimatplaneten
untersagt hatte, wo er seine geliebte Frau und den Sohn hatte
zurücklassen müssen. Mit einem Finger voller schwarzer
Tintenflecken – sein Füller leckte – stieß er
gegen den silbernen Gegenstand auf seinem Schreibtisch. »Und du
sagst, die sind überall vom Himmel gefallen?«, fragte er
mit Unheil verkündender Ruhe.
    Marcus Wolff nickte. »In der ganzen Stadt. Mischa hat mir in
einem Telegramm mitgeteilt, dass es sich auch im Hinterland so
verhält. Die Männer des Herzogs sind in großer Zahl
mit Besen und Säcken ausgezogen, um sie einzusammeln, aber es
sind zu viele vom Himmel geregnet. Und auch noch andere
Dinge.«
    »Andere Dinge.« Es war nicht als Frage formuliert, aber
Burijas hochgezogene Braue machte deutlich, dass er mehr erfahren
wollte.
    »Dinge, die vom Himmel fallen – und es ist nicht der
übliche Regen von Fröschen!« Oleg Timoschewski
hüpfte so aufgeregt hin und her, dass er fast eines der
Schreibmaschinengehäuse vom nebenstehenden Küchentisch
gestoßen hätte. Die Schreibmaschinen waren Teil der
illegalen Druckerei, die Rubenstein auf die Gefahr hin, zehn weitere
Jahre im Exil verbringen zu müssen, hier eingerichtet hatte.
    »Dinger wie Telefone, glaube ich, zumindest antworten sie,
wenn man sie was fragt. Alle sagen dasselbe: Unterhalte uns, bring
uns was bei, dann geben wir dir im Gegenzug alles, was du willst. Und
das tun sie wirklich! Ich hab mit eigenen Augen gesehen, wie ein
Fahrrad vom Himmel fiel. Und nur deswegen, weil Georgi Pawlowitsch
sich eines gewünscht hat und dem Apparat die Geschichte von
Roland erzählt hat, während er darauf gewartet
hat.«
    »Fällt mir schwer, das zu glauben. Vielleicht sollten
wir es mal ausprobieren?« Burija grinste hinterhältig, auf
eine Art, die Marcus an die alten Zeiten erinnerte, als Burija
während des gescheiterten
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