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Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)

Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Sobo Swobodnik
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Grund zu kommen.
    »Wo haben Sie das Reh her?«
    »Von zu Hause.« Das konnte Vinzi gut und gerne behaupten, hatte doch das Reh keinen Identifikationsnachweis bei sich. Das Gegenteil war nur schwerlich zu beweisen.
    »Ein Hausreh?«, fragte der Beamte, was sich anhörte wie das verfänglichere »Ein Homeboy?«.
    »Exakt.« Vinzi ließ daran keinen Zweifel. »Handaufgezogen, mit der Flasche und so, verstehen Sie?«
    Davon konnte beim Grenzbeamten nun gar keine Rede sein. Er schien nicht zu verstehen, nichts, gar nichts. In seinem Grenzbeamtenhirn konnte er dieses angebliche Hausreh wohl nicht in seine fest zementierten Koordinaten einordnen. Für Rehe gab es wahrscheinlich gar keine Koordinaten. Für tote Rehe noch viel weniger.
    »Und wo wollen Sie damit hin?« Der Beamte zeigte in den Kofferraum.
    »In die Schweiz.«
    »Und was wollen Sie da?«
    »Wir oder das Reh?«, fragte Vinzi.
    »Sie.«
    »Urlaub machen«, sagte Vinzi, und Plotek ergänzte: »Kur.«
    Wobei Vinzi konkretisierte, um der möglicherweise aufkommenden Verwirrung entgegenzuwirken: »Ich Urlaub, er Kur.«
    Was beim Grenzbeamten aber keineswegs Klarheit zur Folge hatte.
    »Und das Reh?«, fragte er fast flüsternd, als wäre es nicht tot, sondern schliefe nur und sollte keinesfalls aufgeweckt werden.
    »Auch.«
    Beim Blick auf das Reh schien eine Kur nicht nur naheliegend, sondern auch notwendig. Ob jetzt Alternativmedizin oder was Veterinäres. Egal. Das Reh sah auf jeden Fall aus, als bräuchte es Hilfe. Genau genommen sah es sogar so aus, als käme bei ihm jede Hilfe zu spät.
    Der Grenzbeamte schien wieder nachzudenken. Doch sein Gesichtsausdruck ließ erahnen, dass er mit dem Denken nun auf gar keinen grünen Zweig mehr kam. Offenbar hatte er Schwierigkeiten, einen beinamputierten Krüppel, einen kränklich wirkenden, übergewichtigen Freak mit langen Haaren, dazu einen bestens gepflegten Oldtimer-Mercedes und ein totes Reh so in Zusammenhang zu bringen, dass es wenigstens ein wenig Sinn ergab. Wenn an Grenzübergängen kein Sinn zu erkennen ist, aber einer vermutet werden muss, weil sonst die Grenzen selbst sinnlos werden, helfen in der Regel nur Spürnasen, die etwas aufspüren, wo angeblich nichts ist. Bedeutet: In diesem verzwickten Fall musste die Hundestaffel der Grenzsicherung her, um wenigstens ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen. Zumindest schien davon der junge Grenzbeamte überzeugt zu sein. Er ging kurzerhand in die Grenzbaracke und kehrte mit einem Schäferhund an der Leine zum Auto und den dort Rauchenden und gelangweilt Wartenden zurück. Wobei nur Vinzi rauchte und Plotek sich langweilte. Ihre kurzzeitig abhandengekommene Aufmerksamkeit war mit dem Schäferhund sofort wieder da. Das war ein Schäferhund kurz vor der Pension. Er humpelte ein wenig und sah so aus, als wollte er sich gleich mit zum Reh in den Kofferraum legen. Bandscheibenvorfall, Rheuma oder dergleichen. Ist bei Schäferhunden in einem gewissen Alter an der Tagesordnung.
    »Such, Urs, such!«, befahl der Mann dem Hund und hoffte offenbar, nun mit Urs das Rätsel zu lösen.
    Urs suchte. Oder besser: Er versuchte zu suchen. Aber nicht nur, dass er nichts fand. Außer dem toten Reh natürlich, das auch ohne Urs’ Spürnase kein Geheimnis war. Das Reh hatte auf den Schäferhund auch schwerwiegende Auswirkungen. Urs war nach dem Anblick des Rehs nicht mehr der Urs, der er vorher, ohne das Reh, gewesen war. Nicht mehr der folgsame, zuverlässige, alte Grenzhund, der jedes noch so abwegige Versteck mit seiner darauf trainierten Hundeschnauze aufgespürt hatte. Urs wurde aufgrund des toten Rehs und des von ihm ausgehenden Geruchs ganz kirre im Kopf. Da halfen auch Hunderte Stunden Ausbildungs- und Konditionierungslager nichts. Da wurde der Hund wieder zum Hund. Das Animalische bekam seine vier Pfoten zurück. Drogen interessierten ihn nicht mehr. Selbst dann nicht, wenn sein Herrchen mit Lastwagenladungen Leckerlis locken würde. Kokain, Heroin, Marihuana – alles vergessen. Im Kopf des Hundes war nur noch das tote Reh.
    »Urs, Herrschaft! Was ist jetzt?!«
    Nichts war. Urs war nur noch am toten Reh interessiert. Und wie! Winselnd, bellend, an der Leine zerrend und an den Lefzen tropfend wie ein Kieslaster. Von Rheuma, Bandscheibendefekt und allem nichts mehr zu sehen.
    »Urs!!!« Sein Herrchen schien zu verzweifeln.
    Urs war gescheitert. Mit ihm auch der junge Grenzbeamte. Eine Niederlage wie ein Bandscheibenvorfall. Der alte Schäferhund wurde ohne Leckerli in das
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