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Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)

Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Sobo Swobodnik
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der Fahrbahn dahin, kam aber erstaunlicherweise nicht von der Straße ab. Er blieb schließlich mit der Motorhaube verdächtig nahe am Straßenrand, respektive im Straßengraben, stehen. Plotek und Vinzi sahen sich überrascht an, in ihren Blicken die Frage: »Was war das denn?«
    Der Aufprall hatte sich dumpf und satt angehört, als wäre ein Reissack gegen den Kotflügel geflogen. Oder ein Ball, ein Tier, Hase, Igel, Fuchs oder vielleicht sogar ein …
    »Mensch!«, fiel aus Ploteks Mund.
    »Quatsch«, kam von Vinzi, als wollte er den »Mensch«wieder dahin zurückstopfen. Er blies zweimal einen Mund voll Luft aus sich heraus und sagte dann: »Gib Gas!«
    Plotek rührte sich nicht. Er sah Vinzi verdutzt an und hatte nicht wenig Lust, nun für immer im Auto sitzend am Straßenrand auszuharren.
    »Na los, mach schon!« Vinzi blickte zur Heckscheibe hinaus und wirkte plötzlich nervös.
    »Aber wir können doch nicht einfach …«
    »Fahr endlich!«
    Aber denkste. Das Auto rührte sich nicht von der Stelle. Plotek machte keine Anstalten loszufahren. Das schien nun auch Vinzi zu kapieren. Er kapitulierte einmal mehr vor diesem Sturschädel. Wieder blies er Luft aus sich heraus, schüttelte den Kopf und sagte, mehr verzweifelt als überzeugt: »Okay, okay, ich schau mal nach.«
    Er löste seinen Sicherheitsgurt, öffnete die Beifahrertür und hüpfte auf seinen Beinstümpfen aus dem Wagen. Plotek sah ihm durch die Heckscheibe hinterher, ohne dass er genau erkennen konnte, was Vinzi auf der bereits in Dunkelheit getauchten Straße anstellte. Es dauerte nicht lange, dann kam Vinzi zum Wagen zurück. Er beugte sich kurz ins Innere und sagte zu Plotek: »Mach mal den Kofferraum auf.«
    Jetzt stieg auch Plotek aus. Er öffnete mit dem Schlüssel den Kofferraumdeckel und fragte in einer Mischung aus unheilvoller Ahnung und tröstlicher Hoffnung: »Und? Was ist es?«
    »Ein Reh!«
    »Was?«
    »Du hast ein Reh überfahren.«
    »Nein!«
    »Sei froh, besser als einen Österreicher!«
    »Und jetzt?«, wollte Plotek wissen, unsicher, ob er sich freuen oder doch eher über das tote Reh traurig sein sollte. Er sah zuerst in den Kofferraum, dann Vinzi fragend an. »Was hast du vor?«
    Vinzi wuchtete seinen Rollstuhl auf den Rücksitz des Wagens. Dann entfernte er sich auf seinen Beinstümpfen ein paar Meter vom Mercedes, blieb vor einem Fleischhaufen stehen und rief Plotek zu: »Na los, komm her, und pack an.«
    Er zeigte auf ein totes Reh, das am Straßenrand im Schnee lag und aussah, als schliefe es. Es blutete ein wenig. Ansonsten schien es völlig unversehrt. Plotek hatte mal wieder extreme Verständnisschwierigkeiten und fahndete hilflos nach dem Sinn von Vinzis Vorhaben: »Aber was willst du denn mit einem Reh …«
    »Braten!« Vinzi klang wie ein Ofen mit Umluft.
    »Was?« Die unheilvolle Ahnung war zurück.
    »Rehbraten mit Preiselbeeren und Rotkohl.« Vinzi sah aus, als liefe ihm jetzt schon der Speichel im Mund zusammen. »Mach schon!« Widerspruch schien zwecklos.
    Sie hoben das Reh vom Boden hoch und schleppten es, Vinzi an den Hinterbeinen, Plotek an den vorderen, zum Wagen. Dort hievten sie es in den Kofferraum des Mercedes, wobei ein paar Autos mit verlangsamter Geschwindigkeit und deren Insassen mit überhöhter Neugierde an ihnen vorbeifuhren. Plotek setzte sich anschließend schnell wieder zurück ans Steuer, während Vinzi das Reh in den Kofferraum wie in einen Sarg bettete und dabei stolz ver kündete: »Mit angewinkelten Beinen passt es exakt hi nein.« Dann schloss er den Deckel, setzte sich zurück neben Plotek, klatschte in die Hände, an denen sich noch Reste von Blut befanden, und sagte, als wäre das Mahl angerichtet: »Na los, gib Gas!«
    Sie fuhren wieder schweigend vor sich hin, Vinzi offenbar genauso in Gedanken verstrickt wie Plotek, während es draußen immer stärker schneite und immer dunkler wurde. Vermutlich dachten sie beide an dasselbe: nicht mehr an ihre Meinungsverschiedenheit, sondern an das Reh. Das tote Reh im Kofferraum. Während Plotek Mitleid mit dem Reh empfand, schien Vinzi sich schon die kulinarische Zubereitung auszumalen, denn auf einmal knurrte sein Magen. Was wiederum Plotek in seinem Mitleid störte.
    »Das war aber nicht dein Ernst, oder?«
    »Du meinst den Rehbraten mit …« Vinzi unterbrach sich selbst, zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch gegen die Windschutzscheibe. Plotek hustete.
    Auf der Engadiner Bundesstraße 184 passierten sie ein Hinweisschild, das den
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