Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Silbermantel

Titel: Silbermantel
Autoren: Guy Gavriel Kay
Vom Netzwerk:
unnatürlicher Behändigkeit Hand über Hand an der Außenmauer des Auditoriums emporzuklettern. Binnen Kürze war das Wesen, das weder über eine Eintrittskarte noch über ein Bandgerät verfügte, vor einem hoch droben in der Kuppel des Saals eingelassenen Fenster zur Ruhe gekommen. Als es an den glitzernden Kronleuchtern vorbei herabschaute, konnte es tief unten das Publikum und die hell erleuchtete Bühne erkennen. Selbst aus dieser Höhe und durch das dicke Glas hindurch war das aufgeregte Stimmengewirr der Menge im Saal zu hören. Das Wesen, das sich an das Bogenfenster klammerte, gestattete sich ein kurzes, galliges Lächeln der Genugtuung. Hätte jemand auf der obersten Galerie sich in diesem Moment umgedreht, um die Fenster der Kuppel zu bewundern, wäre es als dunkler Schattenriss vor dem Nachthimmel zu erkennen gewesen. Doch niemand hatte Grund, aufzublicken, und niemand tat es. An der Außenseite der Kuppel presste sich das Geschöpf enger an die Fensterscheibe und stellte sich darauf ein, zu warten. Es bestand Aussicht, dass es im Lauf des Abends Gelegenheit erhalten würde, zu töten. Diese Möglichkeit erleichterte es ihm wesentlich, Geduld zu üben, und vermittelte ihm eine gewisse Vorfreude, denn zum Töten war es geboren, und es bereitet den meisten Lebewesen Freude, zu tun, was ihre Natur befiehlt.
     
    Dave Martyniuk stand wie ein hoher Baum inmitten der Menge, die wie Laub durch das Foyer wirbelte. Er hielt Ausschau nach seinem Bruder, und dabei wurde ihm immer unbehaglicher zumute. Es trug auch keineswegs zu seinem Wohlbefinden bei, dass er soeben die elegante Gestalt Kevin Laines zusammen mit Paul Schafer und zwei Frauen durch die Eingangstür treten sah. Gerade wollte Dave sich abwenden ihm war im Augenblick nicht danach, sich gönnerhaft behandeln zu lassen, da bemerkte er, dass Laine ihn bereits entdeckt hatte.
    »Martyniuk! Was machst du denn hier?« »Hallo, Laine. Mein Bruder sitzt auf dem Podium.«
    »Vince Martyniuk. Natürlich«, sagte Kevin. »Er ist ein kluger Mann.«
    »Einen gibt’s in jeder Familie«, scherzte Dave ein wenig beleidigt. Er sah Paul Schafers schiefes Grinsen.
    Kevin Laine lachte. »Mindestens einen. Aber ich bin unhöflich. Paul kennst du ja. Dies ist Jennifer Lowell, und dies Kim Ford, meine Lieblingsärztin.«
    »Hi«, grüßte Dave und war gar nicht erbaut, nun auch noch Hände schütteln zu müssen.
    »Dies ist Dave Martyniuk. Er ist Hauptangriffsspieler unserer Basketballmannschaft. Dave studiert hier im dritten Jahr Jura.«
    »In der Reihenfolge?« neckte Kim Ford und strich sich eine Locke ihres braunen Haars aus der Stirn. Dave versuchte gerade, sich darauf eine Entgegnung einfallen zu lassen, als Bewegung in die umgebende Menge kam.
    »Dave! Tut mir leid, dass ich zu spät komme.« Das war nun endlich Vincent. »Ich muss sofort hinter die Bühne. Kann sein, dass wir uns erst morgen wieder sprechen. Freut mich, Sie kennen gelernt zu haben –« wandte er sich an Kim, obwohl man sie einander gar nicht vorgestellt hatte. Dann eilte Vince davon und drängte sich, die Aktentasche vor dem Bauch wie den Bug eines Schiffes, durch die Menschenmenge, »Ihr Bruder?« lautete Kirn Fords irgendwie überflüssige Frage.
    »Ja.« Dave war schon wieder beleidigt. Kevin Laine, sah er, war von Freunden angesprochen worden und gab sich geistreich.
    Wenn er sich jetzt auf den Weg zur juristischen Fakultät machte, dachte Dave, konnte er noch gut drei Stunden am Thema Beweisführung arbeiten, ehe die Seminarbibliothek zumachte.
    »Bist du allein hier?« fragte Kim Ford.
    »Ja, aber ich –« »Warum setzt du dich dann nicht zu uns?«
    Ein wenig erstaunt über sich selbst folgte Dave Kim in den Saal.
     
    »Die da«, sagte der Zwerg. Und deutete auf die gegenüberliegende Seite des Auditoriums, wo Kimberly Ford gerade mit einem hochgewachsenen, breitschultrigen Mann den Saal betrat. »Sie ist es.«
    Der graubärtige Mann neben ihm nickte bedächtig. Die beiden standen halb verdeckt in einem Seitengang der Bühne und sahen zu, wie das Publikum hereinströmte. »Ich glaube es auch«, bestätigte er besorgt. »Doch ich brauche fünf, Matt.«
    »Aber nur einen für den Kreis. Sie ist mit drei anderen gekommen, und jetzt ist noch ein Vierter dazugestoßen. Da hast du deine fünf.«
    »Ich habe fünf«, gab der andere Mann zu. »Ob es meine sind, weiß ich nicht. Ginge es hier ausschließlich um Metrans alberne Festvorbereitungen, dann käme es nicht weiter darauf an, aber
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher