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Silbermantel

Titel: Silbermantel
Autoren: Guy Gavriel Kay
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–«
    »Ich weiß, Loren.« Die Stimme des Zwerges war erstaunlich sanft. »Aber sie ist es, von der wir Kunde erhalten haben. Wenn ich dir bei deinen Träumen behilflich sein könnte, mein Freund –«
    »Du hältst mich für töricht?«
    »Dazu kenne ich dich zu gut.« Der hochgewachsene Mann wandte sich ab. Seine scharfen Augen schweiften durch den Saal dorthin, wo die fünf Personen saßen, auf die sein Begleiter ihn hingewiesen hatte. Er musterte sie, eine nach der anderen, dann blieb sein Blick am Gesicht Paul Schafers haften.
     
    An seinem Platz zwischen Jennifer und Dave sah Paul sich im Saal um und schenkte der wortreichen Ankündigung des Vorsitzenden für den Hauptredner des Abends nur beiläufige Beachtung, als ihn auf einmal die Gedankensonde traf.
    Licht und Geräusche im Raum verblassten völlig. Er spürte eine große Dunkelheit. Er sah einen Wald, eine lange Reihe raunender Bäume, von Dunst verhüllt. Sternenglanz über den Bäumen. Er wusste, ohne zu wissen woher, dass gleich der Mond aufgehen würde, und als er aufging …
    Er war mitten darin. Der Saal war nicht mehr vorhanden. Es wehte kein Wind in der Dunkelheit, dennoch raunten die Bäume, und das war mehr als nur ein Geräusch. Seine Versenkung war vollkommen, und an jenem abgeschiedenen Ort sah Paul sich den schrecklichen, gequälten Augen eines Hundes oder Wolfs gegenüber. Dann zerbrach die Vision, Bilder huschten an ihm vorüber, wirr, zahllos, zu flüchtig, um sie festhalten zu können, bis auf eines: ein hochgewachsener Mann, der dort im Dunkeln stand, auf seinem Kopf das mächtige, verschlungene Geweih eines Hirsches.
    Dann zerbrach auch dieses Bild: plötzlich, verwirrend. Er ließ seine Augen, die kaum etwas deutlich wahrnahmen, durch den Saal wandern, bis sie am Rande der Buhe an einem großen, graubärtigen Mann haften blieben. Einem Mann, der zu einem anderen, welcher neben ihm stand, noch kurz etwas sagte, und dann, begleitet von tosendem Beifall, lächelnd zum Rednerpult ging.
    »Bereite alles vor, Matt«, hatte ihn der graubärtige Mann angewiesen. »Wir nehmen sie, wenn wir können.«
     
    »Er war hervorragend, Kim. Du hattest recht«, erklärte Jennifer Lowell. Sie standen an ihren Plätzen und warteten, dass die hinausströmende Menge sie durchließ. Kim Fords Gesicht war vor Aufregung gerötet.
    »Nicht wahr?« vergewisserte sie sich bei den anderen. »Was für ein toller Redner!«
    »Dein Bruder war auch recht gut, fand ich«, bemerkte Paul Schafer ruhig zu Dave.
    Überrascht murmelte Dave etwas Belangloses, dann fiel ihm eine andere Sache ein. »Geht’s dir wieder gut?«
    Einen Augenblick lang schaute Paul verständnislos drein, dann verzog er das Gesicht. »Du also auch? Ich fühle mich blendend. Ich brauchte bloß einen Tag Ruhe. Jetzt ist es so ziemlich überstanden.« Dave, der ihn ansah, war sich da nicht so sicher. Aber es ging ihn ja nichts an, wenn Schafer sich partout beim Basketballspielen umbringen wollte. Er selbst war einmal bei einem Footballspiel mit gebrochenen Rippen angetreten. Man überlebte es.
    Wieder meldete Kim sich zu Wort. »Ich würde ihn liebend gern kennen lernen, wisst ihr.« Sie warf einen sehnsüchtigen Blick auf das Knäuel Autogrammjäger, das sich um Marcus scharte.
    »Mir geht es nicht anders«, gestand ihr Paul leise. Kevin warf ihm einen fragenden Blick zu.
    »Dave«, fuhr Kim fort, »dein Bruder müsste uns doch beim Empfang einschleusen können, oder etwa nicht?«
    Dave setzte gerade zur einzig möglichen Antwort an, da schnitt ihm eine tiefe Stimme das Wort ab.
    »Entschuldigen Sie bitte die Störung.« Eine Gestalt, kaum größer als Einszwanzig und mit einer Klappe über dem einen Auge, war zu ihnen getreten. »Mein Name«, stellte sich der Mann mit einem Akzent vor, den Dave nicht einordnen konnte, »ist Matt Sören. Ich bin Dr. Marcus’ Sekretär. Zufällig habe ich die Bemerkung der jungen Dame mit angehört. Darf ich Ihnen ein Geheimnis anvertrauen?« Er machte eine kunstvolle Pause. »Dr. Marcus hat wenig Lust, den geplanten Empfang zu besuchen. Bei allem Respekt«, sagte er zu Dave gewandt, »gegenüber Ihrem sehr gelehrten Bruder.«
    Jennifer sah, dass Kevin Laine Anstalten machte, sich in Szene zu setzen. Gleich beginnt die Vorstellung, dachte sie und lächelte in sich hinein.
    Fröhlich übernahm Kevin die Initiative. »Sie möchten also, dass wir ihn fortzaubern?«
    Der Zwerg blinzelte, dann entrang sich seiner Brust ein tiefes Lachen. »Sie begreifen schnell, mein
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