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Silbermantel

Titel: Silbermantel
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Neid.
    Währenddessen begann sie zu verstehen, warum Gorlaes immer noch Kanzler war. Kein anderer hätte den notwendigen Ritualen, die Prozeduren dieser Art begleiteten, soviel Glanz verleihen können. Oder sie auch nur alle im Kopf gehabt. Er beherrschte die Szene ganz überlegen, und Aileron wartete überraschend geduldig, als ein zweiter Mann, auf seine Weise ebenso gutaussehend wie der erste, auf sie zutrat.
    »Was«, fragte Levon ohne lange Vorrede und Grußworte, so direkt wie der Wind, »ist das für ein Ring, den Ihr da tragt?«
    Das war etwas anderes. Nun war es die Seherin von Brennin, die ihren prüfenden Blick auf ihn richtete. »Der Baelrath«, antwortete sie ihm leise. »Der Kriegsstein, so wird er genannt. Es ist Teil der ungezähmten Magie.«
    Das verfehlte nicht seine Wirkung auf ihn. »Vergebt mir, aber warum tragt Ihr ihn?«
    »Weil die letzte Seherin ihn mir gegeben hat. Sie träumte davon, dass er an meinem Finger steckt.«
    Er nickte, und seine Augen weiteten sich. »Gereint hat mir erzählt, dass es so etwas gibt. Wisst Ihr denn, was er bedeutet?«
    »Nicht ganz. Wisst Ihr es?« Levon schüttelte den Kopf. »Nein. Wie sollte ich? Das liegt weit außerhalb meiner Welt, Frau. Ich kenne die Eltor und die Ebene. Aber mir ist ein Gedanke gekommen. Wärt Ihr bereit, Euch hinterher mit mir zu unterhalten?«
    Er war wirklich außerordentlich anziehend, ein unruhiges Schlachtross, beengt durch diesen Saal. »Gewiss«, erwiderte sie.
    Wie der Zufall es wollte, erhielten sie nie die Gelegenheit, ihr Vorhaben durchzuführen.
     
    Kevin, der den Frauen gegenüber mit Paul zusammen neben einer der Säulen stand, war im Stillen darüber beglückt, wie klar im Kopf er sich fühlte. Sie hatten am vergangenen Abend ungeheure Mengen Bier konsumiert. Aber er verfolgte mit voller Aufmerksamkeit, wie zunächst Gorlaes und dann Galienth, der Gesandte aus Cathal, ihre offiziellen Ansprachen beendeten.
    Aileron erhob sich. »Ich danke Euch«, sagte er ohne sonderliche Betonung, »für Euer Kommen und für Eure freundlichen Worte über meinen Vater. Wir sind Shalhassan sehr verbunden, dass er sich veranlasst sah, seine Tochter und Erbin auszusenden, damit sie sich mit uns berate. Dieses Vertrauen ehrt uns, und solche Zeichen des Vertrauens müssen wir einander in den Tagen, die vor uns liegen, immer wieder entgegenbringen.«
    Der Gesandte, der, wie Kevin wusste, nicht die leiseste Ahnung hatte, wie Sharra hierher gelangt war, nickte in weisem Einverständnis. Der König fuhr im Stehen fort:
    »Bei dieser Beratung soll allen das Recht eingeräumt werden, die Stimme zu erheben, denn anders kann es nicht sein. Allerdings bin ich mir darüber im Klaren, dass der Vorzug, als erster zu euch zu sprechen, nicht mir gebührt, sondern dem Ältesten unter uns und dem, dessen Volk die Wut Rakoths am besten kennt. Na-Brendel aus Daniloth, bist du bereit, für die Lios Alfar das Wort zu ergreifen?« Nachdem er geendet hatte, verweilte Ailerons Blick einen Moment lang fragend auf Paul Schafers Gesicht.
    Dann wandten sich aller Augen dem Lios zu. Aufgrund seiner Wunden immer noch humpelnd trat Brendel in ihre Mitte, und mit ihm kam, um ihn zu stützen, der Mann, der in den vergangenen drei Tagen kaum von seiner Seite gewichen war. Tegid führte Brendel behutsam nach vorn, zog sich dann ungewohnt scheu wieder zurück, und der Lios Alfar stand ganz allein zwischen ihnen, mit Augen von der Farbe des Meeres bei Regenwetter.
    »Ich danke Euch, Großkönig«, begann er. »Ihr erweist mir und meinem Volk in diesem Saal Ehre.« Er verstummte kurz, um dann fortzufahren: »Die Lios sind nie für die Kürze ihrer Ansprachen bekannt gewesen, denn für uns verstreicht die Zeit langsamer als für euch, doch derzeit ist Eile geboten und ich werde nicht allzu lange sprechen. Über zwei Dinge mache ich mir Gedanken.« Er blickte sich um.
    »Vor tausend Jahren, noch vor dem Berg, wurden fünf Völker benannt, Wache zu halten. Vier davon sind heute vertreten: Brennin und Cathal, die Dalrei und die Lios Alfar. Keiner unserer Wachtsteine ist rot erglüht, und doch ist Rakoth frei. Wir haben keine Warnung erhalten. Der Kreis wurde durchbrochen, meine Freunde, und daher –« Er zögerte, dann sprach er den Gedanken aus, der ihnen allen gemeinsam war: »und daher müssen wir uns vor Eridu in acht nehmen.«
    Eridu, dachte Kim, und erinnerte sich an Eilathens wirbelnde Vision dieses Landes. Wild und schön war es, bewohnt von einer Rasse dunkelhaariger,
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