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Silbermantel

Titel: Silbermantel
Autoren: Guy Gavriel Kay
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bitterste, vergeblichste Sehnsucht seines Herzens.
     
    »Warum, Matt?« erinnerte Kim sich gefragt zu haben, nach ihrer ekstatischen Vision Calor Dimans während jener ersten Wanderung zu Ysannes See. »Warum bist du fortgegangen?«
    Und nun, schien es, sollten sie es erfahren. Man hatte Brock einen Stuhl vor den Thron gestellt, und er war dann zusammengebrochen. Und es war Matt, der sich zu Wort meldete, als sie sich um die beiden Zwerge scharten.
    »Brock hat eine Geschichte zu erzählen«, kündigte Matt Sören mit seiner tiefen Stimme an, »aber ich fürchte, ihr werdet wenig davon verstehen, wenn ich euch nicht zunächst die meine erzähle. Es scheint, als sei die Zeit der Heimlichkeiten vorüber. Darum höret.
    Zu der Zeit, als March, der König der Zwerge, in seinem einhundertsiebenundvierzigsten Jahr verschied, war nur ein einziger Mann zu finden, der bereit war, die Probe einer Vollmondnacht am Ufer Calor Dimans, des Kristallsees, auf sich zu nehmen, denn so wählen wir unseren Herrscher, oder lassen ihn von den Mächten wählen.
    Denn wisset, wer herrschen will unter den Zwillingsbergen, muss als erstes eine Vollmondnacht am Ufer des Sees verbringen. Ist er bei Morgengrauen noch am Leben und bei Verstand, wird er gekrönt unter dem Banir Lok. Doch diese Prüfung hat etwas Geheimnisvolles, und zahlreiche unserer besten Krieger und Handwerker waren gebrochene Männer, als die Sonne über dem Ort ihrer Nachtwache aufging.«
    Kim begann ein Pochen hinter den Augen zu verspüren, erstes Anzeichen eines Migräneanfalls. Sie ignorierte es, so gut sie konnte, und konzentrierte sich ganz auf die Worte Matts.
    »Als March, dessen Schwestersohn ich war, aus dem Leben schied, nahm ich all meinen Mut zusammen – der Mut eines Jünglings war das, muss ich gestehen – und stellte eigenhändig, wie das Ritual es vorsieht, einen Kristall her und warf ihn in der Neumondnacht zum Beweis meiner Absichten in den Kristallsee.
    Zwei Wochen darauf wurde mir vom Banir Tal aus, wo sich der einzige Zugang zur Wiese am Calor Diman befindet, die Pforte geöffnet und hinter mir wieder verriegelt.«
    Matt hatte die Stimme nun beinahe zu einem Flüstern gesenkt. »Ich sah den Vollmond über dem See aufgehen«, berichtete er. »Ich sah noch vieles andere. Ich … bin nicht verrückt geworden. Am Ende habe ich mich dazu erboten, und mein Schicksal wurde mit den Wassern verknüpft. Nach zwei Tagen haben sie mich dann zum König gekrönt.«
    Da brauen sich die fürchterlichsten Kopfschmerzen zusammen, stellte Kim fest. Sie setzte sich auf die Stufen vor dem Thron und legte den Kopf in die Hände, hörte zu und versuchte krampfhaft, sich zu konzentrieren.
    »Drunten am See habe ich nicht versagt«, bekannte Matt, und sie hörten alle seine Erbitterung, »doch in jeder anderen Hinsicht habe ich versagt, denn die Zwerge waren nicht, was wir früher gewesen sind.«
    »Nicht Eure Schuld«, murmelte Brock und hob den Kopf. »O mein Beherrscher, wahrhaft nicht durch Eure Schuld.«
    Matt blieb einen Augenblick stumm, dann schüttelte er verneinend den Kopf. »Ich war der König«, sagte er schroff. Einfach so, dachte Kevin. Er sah Aileron an.
    Aber Matt war noch nicht fertig. »Zwei Dinge waren den Zwergen immer zu eigen«, fuhr er fort. »Das Wissen um die Geheimnisse der Erde, und die Begierde, dieses Wissen zu mehren.
    Während der letzten Tage König Marchs bildete sich in unseren Hallen um zwei Brüder, hervorragende Handwerker übrigens, eine Schar von Anhängern. Ihr Wunsch, der zunächst zur Leidenschaft und dann, während der ersten Wochen meiner Herrschaft, zu Fanatismus wurde, bestand darin, einen geheimnisvollen Gegenstand zu finden und zu enträtseln: den Kessel von Khath Meigol.«
    Bei seinen Worten ging ein Raunen durch den Saal. Kim hatte die Augen geschlossen; sie litt starke Schmerzen, und nun tat ihr auch das Licht weh, stach ihr in die Augäpfel. Sie bot ihre gesamte Willenskraft auf, Matt weiter zuzuhören. Was er sprach, war zu wichtig, als dass sie es sich wegen ihrer Kopfschmerzen hätte entgehen lassen.
    »Ich gebot ihnen Einhalt«, sagte der Zwerg. »Sie fügten sich, dachte ich zumindest. Aber dann ertappte ich Kaen, den älteren der Brüder, wie er erneut die ältesten Bücher durchforstete, und sein Bruder hatte sich ohne meine Erlaubnis entfernt. Da erwachte der Zorn in mir, und meine Torheit und mein Stolz trieben mich dazu, eine Versammlung sämtlicher Zwerge im Gerichtssaal einzuberufen und zu verlangen, sie
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