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Silbermantel

Titel: Silbermantel
Autoren: Guy Gavriel Kay
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jenseits der Zeit als Schlachtfeld zu dienen, und wenn Maugrim in seine Schranken verwiesen werde, dann durch die Kinder, und die Götter dürften sich höchstens ein wenig einmischen. So war es geschehen. Sie hatten ihn unter dem Berg angekettet, obwohl er nicht sterben konnte, und sie hatten die Wachtsteine geschaffen, damit sie rot erglühten, sobald er auch nur eine Kostprobe seiner Kräfte gab.
    Diesmal würde es anders kommen. Nun würde seine Geduld Früchte tragen, die er zerquetschen konnte, denn diesmal war er geduldig gewesen. Selbst als er den Ring der Wächter durchbrochen hatte, war er reglos unter dem Rangat liegen geblieben, hatte die Qualen der Kette ertragen, hatte sie gar genossen, um sich die Rache zu versüßen, welche die Zukunft brachte. Erst als Starkadh, aus verfallenen Trümmern aufgebaut, wieder hoch in den Himmel ragte, war er unter dem Berg hervorgekommen und hatte sie mit einem Feuerstoß des Triumphs wissen lassen, dass er frei war.
    Oh, diesmal würde er sich Zeit lassen. Er würde sie allesamt zerbrechen, einen nach dem anderen. Er würde sie mit der Hand zerquetschen. Seiner einzigen Hand, denn die andere lag schwärzlich und schwärend unter dem Rangat, nach wie vor umschlungen von Ginserats unversehrter Kette, und dafür wie für alles andere sollten sie den vollen Preis zahlen, in vollem Ausmaß, ehe sie sterben durften.
    Angefangen mit dieser hier, die nichts wusste, wie er feststellte, und damit unbrauchbar wurde, ein Spielzeug, erste Nahrung gegen seinen Hunger, und, schön wie die Lios, obendrein ein Vorgeschmack auf die Möglichkeit, sein ältestes Verlangen zu stillen. Er drang in sie ein, in Starkadh war das ganz einfach, er kannte sie durch und durch, und er machte sich an die Arbeit.
    Sie hatte recht gehabt. Der Boden war so tief unten, die tiefsten Tiefen der Nacht lagen jenseits dessen, was sie je hätte erahnen können. In jenem Augenblick konfrontiert mit seinem Hass, einer unverhüllten, alles verschlingenden Macht, sah Jennifer, dass er riesengroß war, sich aus großer Höhe zu ihr herabbeugte, die eine Hand klauenbewehrt, grau wie im Siechtum, die andere verschwunden, so dass nur ein Armstumpf übrig blieb, aus dem ununterbrochen schwärzliches Blut tropfte. Sein Gewand war schwarz, irgendwie noch dunkler als schwarz, als schlucke es das Licht, und unter der Kapuze, die er trug, gab es – welch ein Entsetzen – kein Gesicht. Nur Augen, an denen sie sich verbrannte wie an Karboneis, so kalt waren sie und zugleich rotglühend wie Höllenfeuer. Oh, welche Sünde, welche Sünde sollte sie angeblich begangen haben, dass man sie dem aussetzte?
    Stolz? Denn stolz war sie, das wusste sie, zum Stolz war sie erzogen. Doch wenn Stolz der Grund war, dann wünschte sie sich, er möge sie auch hier nicht verlassen, vor dem Ende, da die Finsternis über sie herfiel. Ein süßes Kind war sie gewesen, eine starke Persönlichkeit, mit freundlichem Wesen, das sich allerdings hinter natürlicher Vorsicht verbarg, sich anderen Seelen nicht so leicht öffnete, denn sie vertraute nur sich selbst. Stolz war sie gerade darauf, und Kevin Laine hatte ihn als erster Mensch als das erkannt, was er war, und ihn offen gelegt, damit sie ihn verstehen lerne, ehe er sich zurückgezogen hatte, damit sie im Verstehen wachse. Ein Geschenk, das für ihn schmerzlich gewesen sein musste. Nun war er in weiter Ferne, und worauf, oh, worauf kam es an diesem Ort schon an? Kam es darauf an, warum er das getan hatte? Offensichtlich nicht, außer dass wir am Ende ohnehin allein bleiben, wo immer es auch auf uns zukommen mochte. So geschah es, dass Jennifer sich von ihrem Lager auf dem Boden erhob, das Haar wirr und verfilzt, den Gestank Avaias am zerfetzten Gewand, das Gesicht verschmutzt, den Körper voller blauer Flecke und Schnittwunden, und sie unterdrückte das Zittern in ihrer Stimme und schleuderte ihm entgegen: »Von mir bekommst du nichts als das, was du dir nimmst.«
    Und an jenem abscheulichen Ort erblühte ihre Schönheit wie ein entfesseltes Licht, weiß leuchtend von Mut und blendender Reinheit.
    Doch dies war die Feste der Finsternis, der Ort größter Machtentfaltung, und er entgegnete: »Dann werde ich dir alles nehmen«, und verwandelte sich vor ihren Augen in ihren Vater.
    Da wurde alles noch schlimmer. Man entzieht sich in Gedanken, erinnerte sie sich einmal gelesen zu haben, wenn man gefoltert wird, wenn man vergewaltigt wird, schickt man nach einiger Zeit sein Bewusstsein an einen
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