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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön
Autoren: Judith Winter
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zurück, der üblicherweise zwischen ihnen herrschte. »Es geht mir gut. Und jetzt verschwinden Sie endlich. Ich bezahle Sie schließlich nicht fürs Schwätzchen halten.«
    Gottlob verstand seine getreue Angestellte die Bemerkung genau so, wie sie gemeint war, und schob lachend ab.
    »Dann also bis später, ja?«
    »Ja«, rief er ihr nach. »Bis dann!«
5
    Wie immer fand Em die Tür zu Makarovs Büro sperrangelweit offen. Es gab keinen Vorraum, und die Wand, die das annähernd quadratische Refugium ihres Vorgesetzten vom Rest der Abteilung trennte, bestand zu zwei Dritteln aus Glas, was vermutlich Transparenz und Erreichbarkeit suggerieren sollte. Auf der Innenseite hingen ein paar staubige Rollos, die man bei Bedarf herablassen konnte, doch Em erinnerte sich nicht daran, dass ihr Boss von dieser Möglichkeit jemals Gebrauch gemacht hätte.
    Sie blieb auf der Schwelle stehen und klopfte zweimal kurz und energisch gegen den Türrahmen.
    Nur Sekunden später tauchte Makarovs Wieselkopf über der Schreibtischplatte auf. Der Leiter der Abteilung für Kapitaldelikte war ein kleiner, entschieden zu dicker Mann Mitte fünfzig mit Glatze und klugen kugelrunden Augen. »Ah, Capelli. Kommen Sie rein. Und schließen Sie die Tür hinter sich.«
    Em tat, wie ihr geheißen. Dann blieb sie unentschlossen mitten im Raum stehen.
    Mit einem lauten Stöhnen wuchtete Makarov einen Aktenberg, der augenscheinlich auf dem Boden unter dem Schreibtisch gelegen hatte, neben das Telefon und hob die Hand zu einer einladenden Geste. »Bitte, nehmen Sie Platz. Es dauert nicht lange.«
    Sie leistete auch dieser Aufforderung Folge, während sie sich eher aus Gewohnheit denn aus Neugier im Büro ihres Vorgesetzten umschaute. Es sah im Grunde seit Jahren gleich aus. Ein wuchtiger Schreibtisch. Ein abgewetzter Ledersessel. Mehrere Aktenschränke und ein zerbeulter roter Spind, dessen Herkunft und Zweck sich niemand so recht erklären konnte. An der Wand hingen ein paar angestaubte Erinnerungsstücke in billigen Aluminiumrahmen: eine Gruppe uniformierter Polizisten, vermutlich eine Abschlussklasse. Zwei Urkunden. Dazueine Fotografie, die den Leiter der Abteilung für Kapitaldelikte mit irgendeinem Politiker vor dem Hessischen Landtag zeigte. Der Kleidung nach musste die Aufnahme mindestens zwanzig Jahre alt sein.
    »Wie geht es Ihnen?«, riss Makarovs Stimme Em aus ihren Betrachtungen.
    »Mir?«, fragte sie überrascht. Es kam selten genug vor, dass ihr Boss persönlich wurde. Und es entsprach ihrer Natur, augenblicklich einen versteckten Haken zu wittern.
    Makarovs schelmisches Lächeln verstärkte diesen Eindruck noch. »Ja, Ihnen.«
    »Vielen Dank«, antwortete sie zögerlich. »Es geht mir ganz ausgezeichnet.«
    »Gut, gut. Und Hansen?« Sein Ledersessel quietschte, als er sich zurücklehnte. »Haben Sie mal was gehört, wie er sich so zurechtfindet in seiner neuen Rolle?«
    Nein, hatte sie nicht. Genauer gesagt: Sie wollte nichts hören. Denn der Mann, der dreieinhalb Jahre ihr Partner gewesen war, hatte sehr wohl ein paarmal versucht, sie auf dem Handy zu erreichen. Vermutlich, um ihr genau das zu erzählen. Wie es ihm ging in seiner neuen Rolle.
    Doch Em hatte die Gespräche kurzerhand weggedrückt. Hansen hatte sie im Stich gelassen, und damit war die Sache für sie erledigt. Aber das brauchte sie ihrem Boss ja nicht unbedingt auf die Nase zu binden. »Ich glaube, es geht ihm ganz gut«, antwortete sie ausweichend.
    »Tja, erstaunlich«, brummte Makarov. »Hätte nie gedacht, dass ausgerechnet der seine Erfüllung mal im Windeln Wechseln findet.«
    »Ich auch nicht«, entgegnete Em, und das kam von Herzen.
    Immerhin war es erst vier Wochen her, seit Viktor Hansen die gesamte Abteilung mit der Eröffnung geschockt hatte, Erziehungsurlaub für seine neugeborene Tochter nehmen zu wollen. Natürlich hatte Em – genau wie die meisten anderen Kollegen – das Ganze zunächst für einen Witz gehalten. Doch Hansen hattetatsächlich ernst gemacht und war nun schon seit zwei Wochen zu Hause.
    »Allerdings glaube ich kaum, dass er dauerhaft dabei bleibt«, setzte sie boshaft hinzu, während Makarov ihr gegenüber noch immer sinnend den Kopf schüttelte. »Im Moment ist das natürlich alles noch neu und aufregend. Aber wenn das Ding erst mal zahnt …« Sie verzog das Gesicht. »Wenn Sie mich fragen, wird unser lieber Viktor noch darum betteln, dass er zu uns zurückdarf.«
    Makarov erwiderte ihr Lächeln. »Wenn er klug ist …«
    Em zuckte die Achseln.
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